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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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Entsetzen verflog, als wäre ein Gewicht von ihm genommen.
    »Wanderer«, sagte er, »lass mich doch los. Du darfst mich nicht so festhalten.«
    Der Griff wurde sogleich wieder fester. »O nein, Junge, ich kenne deine Tricks. Du bist schon der Richtige, das weiß ich jetzt, du bist ein Uralter, aber ich traue euch ebenso wenig, wie ich der Finsternis traue. Du bist eben erst erwacht, nicht wahr, und ich will dir etwas sagen, was du nicht weißt. Weil du erst neu erwacht bist, kannst du niemandem etwas tun, den du nicht mit eigenen Augen siehst. Du wirst mich also nicht zu sehen bekommen, das ist sicher.«
    Will sagte: »Ich will dir nichts tun. Es gibt wirklich Menschen, denen man vertrauen kann, weißt du?«
    »Sehr wenige«, sagte der Wanderer bitter.
    »Wenn du mich gehen lässt, mache ich die Augen zu.«
    »Pah«, sagte der alte Mann.
    Will sagte: »Du trägst das zweite Zeichen. Gib es mir.«
    Es wurde still. Will fühlte, wie sich die Hände des Mannes von seinen Armen lösten, aber er blieb stehen und wandte sich nicht um.
    »Das erste Zeichen habe ich schon, Wanderer«, sagte er. »Du weißt es auch. Sieh, ich knöpfe meine Jacke auf und schlage sie zurück und du kannst den ersten Ring an meinem Gürtel sehen.«
    Er schlug seine Jacke zurück, immer noch ohne den Kopf zu drehen, und er merkte, dass die gekrümmte Gestalt des Wanderers an seine Seite rückte. Der Mann blies den Atem zischend durch die Zähne, es klang wie ein langer Seufzer, während er hinschaute, dann hob er den Kopf und sah Will ohne Scheu an. Im gelben Licht des immer noch brennenden Astes sah Will ein Gesicht, das von widerstreitenden Gefühlen verzerrt war: von Hoffnung und Angst und Erleichterung, die sich alle mit einer bangen Ungewissheit mischten.
    Als der Mann sprach, war seine Stimme gebrochen und arglos wie die eines kleinen Kindes.
    »Es ist so schwer«, sagte er klagend, »und ich habe es so lange getragen. Ich weiß nicht einmal mehr, warum. Immer hatte ich Angst, immer musste ich weglaufen. Wenn ich es nur loswerden könnte, wenn ich nur zur Ruhe käme. Oh, wenn es nur weg wäre. Aber ich habe Angst, es dem Falschen zu geben, ich habe Angst. Was mit mir geschehen würde, wenn ich das täte, das ist zu schrecklich, man kann es nicht in Worte fassen. Die Uralten können grausam sein, grausam ... Ich glaube, du bist der Richtige, Junge, ich habe so lange nach dir gesucht, so lange, um dir das Zeichen zu geben. Aber wie kann ich wirklich sicher sein? Wie kann ich wissen, ob du nicht ein Fallstrick der Finsternis bist?«
    Er hat sich so lange gefürchtet, dachte Will, dass er nicht mehr damit aufhören kann. Wie schrecklich, so ganz allein zu sein. Er weiß nicht, ob er mir trauen soll; es ist so lange her, seit er jemandem getraut hat, er hat vergessen, wie das ist ...
    »Höre«, sagte er sanft, »du musst doch wissen, dass ich nicht zur Finsternis gehöre. Denk nach. Du hast gesehen, wie der Reiter versuchte, mich niederzuschlagen.«
    Aber der alte Mann schüttelte unglücklich den Kopf und Will erinnerte sich, dass er in dem Augenblick, als der Reiter in der Lichtung auftauchte, schreiend davongelaufen war.
    »Nun, wenn das nicht hilft«, sagte er, »überzeugt dich dann nicht das Feuer?«
    »Beinahe«, sagte der Wanderer. Er blickte hoffnungsvoll in die Flammen; aber dann verzerrte sich sein Gesicht in erneuter Angst. »Aber das Feuer, es bringt SIE herbei, Junge, das weißt du doch. Die Krähen zeigen es IHNEN schon an. Und wie soll ich wissen, ob du nur ein Neuerwachter bist, der sich einen Spaß macht, oder ob das Feuer ein Zeichen ist, das SIE auf meine Spur bringen soll?« Er stöhnte gequält, die Schultern mit den eigenen Händen umklammernd.
    Was für ein elender Mensch, dachte Will voller Mitleid. Aber er musste sich ihm unbedingt verständlich machen. Will blickte zum Himmel auf. Die Zahl der kreisenden Krähen war größer geworden, er konnte das heisere Krächzen hören, mit dem sie einander zuriefen. Hatte der alte Mann Recht? Waren die dunklen Vögel Boten der Finsternis?
    »Wanderer, um des Himmels willen«, sagte er ungeduldig, »du musst mir vertrauen. Wenn du mir nicht dies eine Mal trauen kannst, wenigstens so lange, bis du mir das Zeichen übergeben hast, wirst du es ewig tragen. Willst du das?«
    Der alte Landstreicher winselte und stammelte und betrachtete ihn aus irren, zusammengekniffenen Augen; er schien in Jahrhunderten des Misstrauens gefangen wie eine Fliege im Spinnennetz. Aber die Fliege hat doch

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