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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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entlanglief, der durch Hunter's Combe führte, der Alte Weg. »Horch«, sagte er.
    Will betrachtete den unebenen Pfad, die dichten Bäume zu beiden Seiten, den kalten grauen Streifen des frühen Morgenhimmels. »Ich kann den Fluss hören«, sagte er verwundert.
    »Aha«, sagte Merriman.
    »Aber wir sind Meilen vom Fluss entfernt, er liegt auf der anderen Seite der Heide.«
    Merriman neigte sein Ohr dem rauschenden, plätschernden Ton entgegen. Es hörte sich an wie ein Fluss, der viel Wasser führt, ein Fluss nach reichlichem Regenfall. »Was wir hören«, sagte er, »ist nicht die Themse, es ist ein Geräusch des zwanzigsten Jahrhunderts. Siehst du, Will, die Zeichen müssen von John Wieland Smith in seiner Schmiede, in dieser Zeit, zusammengefügt werden — denn kurz nach seiner Zeit wurde die Schmiede zerstört. Aber die Zeichen wurden erst durch dich zusammengebracht, in deiner Zeit. Sie müssen also in einer Zeitblase zwischen diesen beiden Zeiten zusammengefügt werden; die Augen und Ohren der Uralten müssen beide Zeiten wahrnehmen können. Es ist kein richtiger Fluss, den wir hören. Es ist das Schmelzwasser, das in deiner eigenen Zeit die Huntercombe Lane überschwemmt.«
    Will dachte an den Schnee und an seine Familie, die von den Fluten abgeschnitten war, und plötzlich war er ein kleiner Junge, der sich nach Hause sehnt. Merrimans dunkle Augen betrachteten ihn voller Mitgefühl. »Nicht mehr lange«, sagte er.
    Aus der Schmiede kamen Hammerschläge; sie drehten sich um. John Smith betätigte nicht mehr den Blasebalg, er arbeitete jetzt am Amboss, während die lange Zange am Rande der Glut bereitlag. Er benutzte nicht den gewöhnlichen schweren Hammer, sondern einen anderen, der in seiner schweren Faust lächerlich klein wirkte; ein zierliches Werkzeug, ähnlich wie die, die Wills Vater in seiner Goldschmiedewerkstatt benutzte. Aber der Gegenstand, an dem John arbeitete, war auch viel feiner als seine Hufeisen, es war eine goldene Kette mit breiten Gliedern, an der die sechs Zeichen hängen sollten. Die Zeichen lagen in einer Reihe neben Johns Hand.
    John Smith schaute auf, das Gesicht vom Feuer gerötet. »Ich bin beinahe fertig.«
    »Sehr gut.« Merriman verließ sie und trat auf den Weg hinaus. Er stand da einsam, hoch und gebieterisch in seinem langen blauen Umhang, die Kapuze zurückgeschlagen, sodass man sein schneeweißes Haar schimmern sah. Es war kein Schnee zu sehen, aber obgleich Will immer noch das Wasser rauschen hörte, war auch kein Wasser zu sehen ...
    Dann begann sich etwas zu verändern. Merriman hatte sich nicht gerührt. Er stand, den Rücken ihnen zugekehrt, die Hände fielen lose an den Seiten herunter, er stand ganz still, ohne jede Bewegung. Aber um ihn herum bewegte sich die Welt. Die Luft zitterte, die Umrisse der Bäume zitterten, der Boden und der Himmel schienen zu zittern, wurden undeutlich, alle Dinge schienen zu schwimmen, sich zu verwischen. Will betrachtete diese wabernde Welt. Ihm war ein wenig schwindlig. Allmählich begann er durch das Wasserrauschen hindurch das Murmeln vieler Stimmen zu hören. Wie ein Ort, den man durch einen Hitzeschleier betrachtet, begann sich die zitternde Welt in die Umrisse einzelner Gegenstände aufzulösen und er sah undeutlich, dass eine große Schar von Menschen die Straße und den Raum zwischen den Bäumen und den freien Platz vor der Schmiede füllte. Sie schienen nicht ganz wirklich, nicht ganz fest; sie hatten etwas Geisterhaftes, als würden sie verschwinden, wenn man sie berührte. Sie lächelten Merriman, der sein Gesicht immer noch von Will abgewandt hatte, zu, grüßten ihn. Sie scharten sich um ihn und schauten gespannt zur Schmiede hin, wie Menschen, die einem Schauspiel beiwohnen sollen.
    Aber Will und den Schmied schienen sie nicht zu sehen.
    Es waren ganz verschiedene Gesichter — frohe, ernste, alte, junge, ganz weiße und tiefschwarze; jede Schattierung von Rosig und Braun war zu sehen; manche kamen Will irgendwie bekannt vor, andere waren ihm ganz fremd. Will glaubte, Gesichter von Miss Greythornes Gesellschaft wieder zu erkennen — jener Gesellschaft an einem Weihnachtstag des neunzehnten Jahrhunderts, die Hawkin zum Unheil geworden war und ihn zum Buch
Gramarye
geführt hatte — und dann wusste er es. Alle diese Menschen, dieser endlose Zug, den Merriman herbeigerufen hatte, waren die Uralten. Aus jedem Land, aus jedem Teil der Welt waren sie gekommen, um Zeugen zu sein, wie die Zeichen verbunden wurden. Plötzlich

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