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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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fort.
Will versuchte verzweifelt, mithilfe seiner eigenen Fähigkeiten herauszufinden, was mit Bran und dem Hund geschehen sein mochte, konnte aber nichts finden. Er dachte unglücklich: Du hättest sie hier nie allein zurücklassen dürfen. In einer Art zorniger Selbsterniedrigung beugte er sich noch einmal hinunter und streckte die Hand aus nach dem kleinen runden Stein, der, wie er wusste, fest an dem Boden haften würde, ohne eine Möglichkeit für ihn, Will, ihn auch nur den Bruchteil eines Zolls von der Stelle zu bewegen.
    Und der Wachstein ließ sich so leicht wie jeder andere Stein aufheben und lag lose in seiner Handfläche, als warte er darauf, benutzt zu werden.
    Will starrte auf den Stein. Er konnte nicht glauben, was er sah. Was hatte den Bann des Wachsteins gelöst? Keine ihm bekannte Zauberkraft konnte das vollbringen. Es gehörte zu den Gesetzen, dass das Licht keinen Wachstein der Finsternis von der Stelle bewegen konnte noch die Finsternis einen Wachstein des Lichts beeinflussen konnte. Jene unnatürliche Starre, einmal in Kraft gesetzt, konnte allein von dem Besitzer des Steins zerstört werden. Wer konnte also die Macht des Wachsteins vom Grauen König, dem Brenin Llwyd, gebrochen haben, wenn nicht der Brenin Llwyd selbst?
    Will schüttelte ungeduldig den Kopf. Er verschwendete seine Zeit. Etwas war jedenfalls sicher: Ohne Besitzer, die Herrschaft über ihn gebrochen, befand sich der Wachstein außerhalb der Gesetze und konnte selbst dazu benutzt werden, Will zu berichten, was geschehen war, um ihn in diesen ungewöhnlichen Zustand zu versetzen.
    Die ganze Zeit hielt Will die Harfe fest im Griff; er hatte das Gefühl, er würde sie nie wieder ablegen, am wenigsten an diesem Ort. Aber er stand mitten im Raum, den Wachstein in der flachen Hand, und sprach Worte in der Alten Sprache. Er verdrängte alle Gedanken aus seinem Kopf und wartete auf das wie auch immer geartete Bewusstsein, das der Stein ihm vermitteln konnte. Das Wissen würde nicht einfach und offen sein, das wusste er. Das war es nie.
    Es kam, während er mit geschlossenen Augen dastand, in einer so schnellen Folge von Bildern, dass sie wie eine Erzählung waren, Teil eines Märchens. Will sah das Gesicht eines Mannes, kraftvoll und gut geschnitten, aber erschöpft, mit klaren blauen Augen und einem grauen Bart. Obwohl die Kleider fremd und kostbar waren, wusste er sofort, wer es war: Es war das Gesicht des zweiten hohen Herrn in der Höhle vom Vogelfelsen, des Herrn in der meerblauen Robe, der mit so besonderer — und damals unverständlicher — Vertrautheit zu Bran gesprochen hatte.
    In den Augen des Mannes stand eine tiefe Traurigkeit. Dann sah Will das Gesicht einer Frau, schwarzhaarig und blauäugig, das verzerrt war in einer schrecklichen Mischung aus Kummer und Schuld. Und irgendwo bei ihnen sah er Merriman. Dann sah er einen anderen Ort, ein niedriges Gebäude mit dicken Steinmauern und einem Kreuz auf dem Dach — eine Kirche oder eine Abtei —, von dem Merriman dieselbe Frau, mit einem Baby in den Armen, fortführte. Sie standen an einem hochgelegenen Platz, an einem der Alten Wege; dann kam ein großer Nebelwirbel, eine Reihe von Bildern, die so schnell ablief, dass Will nicht folgen konnte und nicht mehr erkannte als eine flüchtig vorbeihuschende Kate, einen aufrecht dastehenden lächelnden Owen Davies mit einem jüngeren, faltenlosen Gesicht und Hunde und Schafe und die Berghänge, grün vor Farn, und eine Stimme, die rief: »Gwennie, Gwennie ...«
    Dann, klarer als alles bisher, sah er Merriman, in die dunkelblaue Robe gehüllt, mit der schwarzhaarigen Frau auf dem Hang über dem Dysynni Tal stehen, auf Cadfans Weg. Sie weinte leise; Tränen liefen ihr langsam und glitzernd über die Wangen. Sie hielt jetzt nichts mehr in den Armen. Merriman streckte die Hand aus, die Finger steif gespreizt, und durch das Pfeifen des Windes hörte Will ein abgerissenes Stück glockenähnlicher Musik, die er, als ein Uralter, der auf den Wegen der Uralten ging, schon früher an anderen Orten und zu anderen Zeiten gehört hatte. Dann kam wieder das Wirbeln, und alles geriet durcheinander, wenn er jetzt auch durch die Musik
    wusste, dass das, was er sah, eine Reise zurück in ein anderes Zeitalter war, vor langer Zeit: das Sich-Bewegen durch die Zeit, das einem Uralten keine Schwierigkeiten machte oder einem Herrn der Finsternis, für Menschen aber nur in Träumen möglich war. In einem letzten vorbeihuschenden Bild sah er die Frau, die

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