Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
magere Hand erwachte mit festerem Griff kurz zu Leben, die Finger krümmten sich, dann fiel sie wieder zurück. »Gwion«, sagte die leere Stimme, »ich kann nichts für sie tun. Schick sie fort.«
Gwion kniete noch immer und sah mit bekümmertem Gesicht zum König auf. »Ihr seid müde«, sagte er unglücklich, alle Förmlichkeiten fallen lassend. »Ich wünschte, Ihr wäret nicht immer allein.«
»Müde des Lebens, Spielmann. Müde der Welt.« Die Stimme war wie ein Winterblatt, das der Wind vor sich herbläst: verwelkt und trocken. »Kein Ziel, keinen Antrieb. Die Zeit macht mit meinen Gedanken, was sie will. Und mein sinnloses Leben ist das leere Krächzen einer Krähe und was an Talenten ich einst gehabt haben mag — es ist tot. Lasst die Spielzeuge, die, die diese Talente hervorgebracht haben, mit ihnen sterben.«
Die langsam gesprochenen Worte kamen aus einer so tiefen Verzweiflung — wie ein schwarzer Abgrund, der keinen Ton zurückgibt, wenn ein Stein hineingeworfen wird —, dass es Will kalt über den Rücken lief. Es war, als höre man einen Toten sprechen.
Bran sagte mit klarer und kalter Stimme: »Ihr sprecht wie die
Mari Llwyd,
nicht wie ein König.«
Die Finger krümmten sich noch einmal einen kurzen Moment und lagen dann wieder schlaff da. In die Stimme stahl sich die müde Verachtung langer, langer Erfahrung, die sich der blinden, unwissenden Kraft der Hoffnung gegenübersieht. »Junge, grüner Junge, sprich zu mir nicht von einem Leben, das du nicht gelebt hast. Was weißt du von der niederdrückenden Last eines Königs, der seinem Volk gegenüber versagt hat, eines Künstlers, der sein Talent vernachlässigt hat? Dieses Leben ist ein einziger langer Betrug, voller Versprechungen, die niemals eingelöst werden können, Irrtümer, die niemals berichtigt werden können, Versäumnisse, die niemals nachgeholt werden können. Ich habe so viel von meinem Leben vergessen, wie ich vergessen konnte. Geht, damit ich ungestört auch den Rest vergessen kann.«
Während Will stumm dastand, gebannt von der schrecklichen Selbstverachtung, die aus der heiseren Stimme des Königs sprach, trat Bran neben ihn. Und alles in Will rief ihm plötzlich zu, dass eine Veränderung eingesetzt hatte, dass von diesem Augenblick an Bran nicht mehr länger nur der seltsame Albino mit den gelbbraunen Augen sein würde, vergessen in einem Tal in Nordwales, wo die Dorfbewohner ihn von der Seite ansahen und die Kinder über sein blasses Gesicht und das weiße Haar spotteten.
»Gwyddno Garanhir«,
sagte Bran in ruhigem Befehlston, kalt und hart wie Eis, und der walisische Akzent war sehr ausgeprägt während seines Sprechens: »Ich bin Pendragon, und es liegt in meinen Händen, ob das Licht besteht oder untergeht. Ich werde Verzweiflung nicht dulden. Eirias ist mein Geburtsrecht, im Auftrag meines Vaters von Euch angefertigt. Wo ist das Kristallschwert?«
Will stand zitternd da; seine Fingernägel gruben sich in seine Handflächen.
Sehr langsam lehnte die Gestalt in dem hohen Stuhl sich ein wenig vor und wandte sich ihnen zu, und sie sahen das Gesicht des Königs, so wie sie es im Regenbogen über dem Springbrunnen im Rosengarten gesehen hatten, vor kurzer und sehr langer Zeit. Es war unverkennbar: ein mageres Gesicht mit Backenknochen, so hoch wie Flügel und Furchen, die Traurigkeit tief eingegraben hatte. Große Gräben der Verzweiflung liefen von der Nase zum Mund und Schatten lagen um die Augen wie dunkle Bergseen. Der König sah zuerst Will an, dann fiel sein Blick auf Bran. Sein Gesicht veränderte sich.
Er saß regungslos da und starrte mit seinen dunklen Augen. Es entstand eine lange Stille, dann sagte der König flüsternd:
»Aber es war ein Traum.«
Gwion fragte leise: »Was war ein Traum, Majestät?«
Der König wandte den Kopf zu Gwion; plötzlich wirkte er rührend naiv, wie ein kleines Kind, das einem Freund ein Geheimnis anvertraut.
»Ich träume immerfort, Spielmann«, sagte er. »Ich lebe in meinen Träumen. Sie sind das Einzige, was diese Leere noch nicht berührt hat. Oh, manchmal sind sie schrecklich und schwarz, Albträume aus der Hölle ... Aber die meisten sind wunderbar, voller Glück und verlorener Freude und Entzücken am Werden und Sein. Ohne meine Träume wäre ich schon vor langer Zeit wahnsinnig geworden.«
»Das«, sagte Gwion und verzog das Gesicht, »trifft auf viele Menschen dieser Welt zu.«
»Und ich träumte«, sagte der König und sah Bran wieder voller Erstaunen an, »von einem
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