Lichtjagd
dem glänzenden, rasiermesserscharfen Halo aus Keramstahlfasern, die den Gegenstand umhüllten. Erst der Geruch rief seine verschütteten Erinnerungen an den Krieg wach und ließ ihn reflexartig würgen.
»Lis Hand?«, fragte er.
»Ja«, sagte Cohen dumpf. Er war auf dem Stuhl vornübergesackt und barg das Gesicht in den Händen, aber seine Stimme hatte immer noch dieselbe klare, elegante Präzision, die er von den Lippen Dutzender Interfaces gehört hatte.
»Bist du dir sicher?«
»Natürlich. Es ist die linke Hand, die mit dem Schengen-Implantat. Vertraust du ihr jetzt?«
A ls Gavi Cohen verließ, ging er quer durch die Stadt, dann machte er kehrt Richtung Altstadt. Um acht Minuten vor zwei schritt er durch das Damaskus-Tor in die Internationale Zone, sorgfältig darauf bedacht, die Kontrollzeiten – volle, halbe und Viertelstunde – zu vermeiden.
Danach spazierte er ziellos umher und versuchte ein müßiges, planloses Interesse an seiner Umgebung vorzugaukeln, die ihm im Moment tatsächlich völlig gleichgültig war.
Er hielt sich von Passanten fern und achtete aufmerksam auf seine Taschen. Mehr als einmal war ein Kurier im Gedränge der Altstadt untergetaucht, um einen Verfolger abzuschütteln, und hatte am Ende festgestellt, dass ein Gelegenheitstaschendieb ihm seine Sendung abgenommen hatte. Und obwohl Gavi nicht im entferntesten so dumm war, etwas Verfängliches mitzuführen, konnte er gern auf den zusätzlichen Ärger einer verschwundenen Brieftasche oder eines vergeblichen Versuchs verzichten, den Torwächtern der Fremdenlegion zu erklären, dass er ein israelischer Bürger und nicht einer von unzähligen anonymen Arabern ohne Papiere war, die sich in den endlosen bürokratischen Rückkopplungsschleifen der Internationalen Zone verfingen.
Es erforderte einige Übung, überzeugend vorzuspiegeln, man hätte einen bestimmten Ort ganz zufällig erreicht. In diesem Fall fand das Rendezvous in einem heruntergekommenen Café im Arabischen Viertel statt. Gavi trat ein, sah sich um, nahm an einem Tisch im hinteren Teil des Cafés Platz und stürzte drei Tassen des starken schwarzen Kaffees hinunter, wobei er jedes Mal einen neuen bestellte, wenn der Kellner ungeduldig herübersah.
Natürlich vermasselte er es. Er hätte seinen Job erledigen und nach der ersten Tasse gehen sollen. Er wusste, dass er Aufmerksamkeit erregte. Er wusste, dass es in seinem Gewerbe ein schwerer Fehler war, wenn man Aufmerksamkeit erregte, welcher Art auch immer. Trotzdem blieb er sitzen, nippte an dem scheußlichen Kaffee und quälte sich mit einer Unentschlossenheit, die er in seiner langen, an Entscheidungen auf Leben und Tod reichen Karriere noch nie erlebt hatte.
Cohens Gewissheit, was Li anging, erschütterte ihn. Das ganze Gespräch hatte ihn erschüttert. Jede Minute jedes Tages, seit Osnat und Arkady bei ihm aufgetaucht waren, hatte ihn erschüttert.
Er merkte, dass der Kellner zu ihm herübersah, ihn verstohlen musterte. Seine Agenteninstinkte ließen alte Alarmsignale
klingeln, aber dann bemerkte er den zugleich angewiderten und faszinierten Ausdruck im Gesicht des Mannes und begriff, dass ihn nicht seine Anwesenheit beschäftigte, sondern die Abwesenheit seines Beins.
Es zählt nicht, wie du aussiehst, sondern was du tust, mein Junge.
Wie viele Millionen Male hatte seine Mutter ihm das in seiner Jugendzeit gesagt? Sie, die alte Kibbuznik, hatte Angst gehabt, dass ihr allzu hübscher Sohn zu einem dieser frivolen und nutzlosen Menschen heranwachsen könnte, die sie so verachtete. Und er hatte die Botschaft verinnerlicht, so wie er ihren leidenschaftlich idealistischen Zionismus verinnerlicht hatte. Er hatte sich in eine Frau verliebt, die intelligent und kultiviert, aber selbst bei äußerster Anstrengung der Fantasie nicht schön war, und sie geheiratet. Und er hatte im Stillen die Leute verachtet, die beim ersten Treffen zwischen ihm und ihr hin und her sahen, ihre allzu offensichtlichen ästhetischen Wertmaßstäbe anlegten und sich fragten: Warum er? Warum sie?
Arithmetik des Körpers, hatte er es genannt. Womit er zum Ausdruck bringen wollte (Gott, wie egoistisch er gewesen war!), dass für ihn nur die Arithmetik der Seele zählte.
Nun aber betrieb er, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, die gleiche Arithmetik. Jedes Nicken und Lächeln Osnats, und sei es noch so schwach, fesselte ihn. Er betrachtete ihre Augen, die so argwöhnisch blickten, wenn sie mit ihm sprach, und die starken Hände, die
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