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Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Titel: Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Merkel
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dem nackten Mann, der den Arm hebt. In Greenpoint, in dem kühlen schattigen Schlafzimmer von Anna und Anne, bin ich selbst, so kommt es mir jedenfalls vor, der letzte oder der einzige Mensch, der noch Gefühle und Phantasien hat. Anderthalb Stunden später, als alles vorbei ist, verlasse ich die Wohnung und trete in die glühende Mittagshitze von New York. Ich hebe kurz die Hand, ich verabschiede mich, ich winke Anna und Anne zu. Aber natürlich können sie mich nicht sehen.

    Wenn ich Judith und ihre Freundinnen begleite, kann ich es manchmal beobachten. Sie ist das organisatorische Zentrum, die Koordinationsstelle, in ihrem Freundeskreis. Ich sehe, wie sie mit sanfter Gewalt alles unter Kontrolle hat, SMS verschickt und Termine vereinbart. Ihre Freundinnen machen sich gegenseitig Komplimente. Sie versuchen sich gegenseitig schön zu finden. An die Abende, die ich mit Judith und ihren Freundinnen verbringe, kann ich mich kaum erinnern. Warum bin ich der einzige Mann? Warum sind die Liebhaber von Kyra nie dabei? Einmal stehe ich vor der McDonalds-Filiale am Stachus und beobachte Judith, wie sie mit ihren Freundinnen um den Tisch herumsitzt, aufgedreht und glücklich, und ich sehe sie, wie sie mit den Händen in der Luft herumfuchtelt und sich dann wieder auf ihren Stuhl fallen lässt, sich vor Lachen schüttelt, als Kyra einen Kussmund macht. Sandra und Kerstin liegen sich in den Armen, und Kerstin rührt mit ihren rotlackierten Fingernägeln in der Sauce ihrer nicht aufgegessenen Chicken Nuggets herum. Ich stütze mich an der Fensterscheibe ab. Ich schaue mit einer Mischung aus Abscheu und Verzweiflung zu ihnen hinein. Und ich denke, ich muss sie aufregend finden, wie sie sich da mit Chicken Nuggets vollstopfen. Kyra ist etwas hübscher als Judith, und vielleicht gehe ich ihr deswegen aus dem Weg. Vielleicht rufe ich sie deswegen auch in New York nicht an, obwohl mich Judith darum gebeten hat. Sie ist ein paar Tage da, um ihre Mutter zu treffen, die bei der U N arbeitet. Ich spüre die Aura ihrer Promiskuität, als sie einmal, während wir Judith beim Tanzen zuschauen, zu mir sagt: »Findest du nicht, dass deine Freundin total sexy aussieht?« Ihre Mutter ist eine kleine energische Frau. Man ahnt etwas von der Kraft, mit der sie ihre großen Rettungs- und Hilfsmissionen organisiert, die sie um den gesamten Globus herum geführt haben. Kyra ist ihre Veredelung, schon am Rand der Dekadenz. Sie hat ständig irgendwelche Männergeschichten, beinahe im Wochentakt wechselt sie ihre Liebhaber. »Ruf sie doch an«, sagt Judith. »Sie ist die ganze Woche da. Ihr könnt zusammen Kaffee trinken gehen.« Ich lehne die Stirn an die Fensterscheibe des McDonalds und beobachte sie. Ich sehe, wie glücklich Judith ist, zusammen mit diesen Frauen, die sie durch Zufall kennengelernt hat, ohne etwas dafür zu tun. Kyra geht auf die Kundentoilette und übergibt sich, jedenfalls behauptet sie das, als wir später in Richtung Marienplatz laufen. »Lippenstift«, sagt Sandra langsam, die schon einmal mit Peace Brigades International in Nepal war, während sie sich mit zitternden Händen die Lippen nachzieht. »Llllipppenstift. Lll und iii und pe.« Sie schaut mich an. »Und?«, fragt sie. »Amüsierst du dich??«

    »Goodbye«, sage ich zu Anne, als sie mich zur Tür bringt. »Goodbye. Auf Wiedersehen«. Sie hat schöne Lippen. Ich spiele die ganze Zeit mit dem Gedanken, sie zu bitten, sich zu schminken, schließlich habe ich dafür bezahlt. Anna, die eher gedrungen und kräftig ist, steht neben mir, und zusammen schauen wir Anne bei dem Versuch zu, sich so auf der Couch zu drapieren, wie wir es vorher besprochen haben, bis ich »Stop« sage und ihr erkläre, dass sie sich nicht mehr bewegen soll. »Stop and don’t move«. Das ist ein Englisch, das auch Anna versteht. Es ist Anne, die für beide das Kommunizieren, das Anbahnen der Kontakte und die Verhandlungen übernimmt. Und während sie auf dem Schlafsofa kauert und sich bemüht, meinen Vorstellungen gerecht zu werden, denke ich noch: Sie sind beide im Grunde Anfängerinnen. Sie machen das wirklich zum ersten Mal. Eine Ansicht, die ich später revidiere, als sie es schaffen, mich zu überreden, den Preis für ihre Dienstleistungen zu verdoppeln. Ich bitte Anne, das Schlafsofa mit den türkisfarbenen Handtüchern wieder in ein Sofa zu verwandeln. Ich gestehe ihnen zu, dass sie sich mit den Handtüchern schützen, aber ich möchte nicht, dass der Ort, wo sich alles abspielt, wie eine

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