Lichtlos 1 (German Edition)
außerhalb dieses Anwesens. Es werden keine Tagestouren mehr unternommen. Langjährige Freundschaften mit Menschen, die nicht zur Familie gehören, sind abgebrochen worden, oft mit einer solchen Grobheit und geheucheltem Zorn, der gewährleisten wird, dass die früheren Freunde keinen Versuch unternehmen werden, die Freundschaft zu flicken. Es darf jeweils nur einer von ihnen das Grundstück verlassen, und dann auch nur, um Bankgeschäfte und eine begrenzte Anzahl anderer Aufgaben zu erledigen. Sie gehen nicht mehr einkaufen; was sie brauchen, muss telefonisch bestellt und geliefert werden.
Obwohl ihr Auftreten und ihr Tonfall nüchtern und sachlich bleiben, ist ihre Stimme eindringlich, denn diese Frau ist heimgesucht. Die Enthüllung, zu der sie mich führt, hat ihren Kampfgeist gezügelt, sie aber noch nicht gebrochen. Ich nehme an ihr eine Verzagtheit wahr, die der Existenz jeglicher Hoffnung derzeit im Wege steht, eine Verzagtheit, die sich dann regt, wenn jeglicher Widerstand gegen ein Elend sich längst als vergeblich erwiesen hat. Aber sie scheint noch nicht ganz in der beständigen Hoffnungslosigkeit der Verzweiflung versunken zu sein.
Daher überrascht es mich, als sie aufhört zu sprechen. Als ich sie dränge weiterzureden, bleibt sie stumm und starrt feierlich auf das dunkle Meer, als riefe es ihr zu, sie solle sich in seinen kalten Fluten ertränken.
Warten gehört zu den Dingen, die Menschen nicht gut können, obwohl es eines der entscheidenden Dinge ist, die wir erfolgreich meistern müssen, wenn wir Glück erfahren wollen. Wir können die Zukunft nicht erwarten, und in unserer Ungeduld versuchen wir, sie aus eigener Kraft zu gestalten, aber die Zukunft wird kommen, wenn sie kommt, und sie lässt sich nicht drängen. Wenn wir gut im Warten sind, entdecken wir, dass das, was wir in unserer Ungeduld von der Zukunft wollten, nicht mehr das ist, was wir wollen, denn das Warten hat uns Weisheit verliehen. Ich bin mittlerweile gut im Warten, da ich ständig darauf warte zu sehen, welche Tat oder welches Opfer von mir gefordert wird, darauf warte herauszufinden, wohin ich als Nächstes gehen muss, und auf den Tag warte, wenn sich das Versprechen der Wahrsagerin erfüllen wird. Im Warten liegen Hoffnung, Liebe und Glaube.
Nach ein paar Minuten sagt Ardys: »Einen Moment lang dachte ich, ich fühle, wie sie sich öffnet .«
»Wie was sich öffnet ?«
»Die Tür. Meine eigene private Tür. Wie kann ich Ihnen mehr sagen, wenn ich befürchte, dass die Nennung seines Namens oder eine Beschreibung seiner Person ihn zu mir führt, ehe ich unsere Notlage erklären kann ?«
Als sie wieder verstummt, entsinne ich mich: Es heißt, man solle den Teufel nie bei seinem Namen nennen, denn sobald man das tut, hört man seine Schritte auf der Treppe.
»Wenigstens gibt es Möglichkeiten, mit dem Teufel umzugehen « , sagt sie und deutet damit an, es gäbe vielleicht keine Möglichkeit, mit ihrem namenlosen Feind umzugehen.
Während ich darauf warte, dass sie weiterspricht, und sie darauf wartet, dass sie einen gefahrlosen Weg zu ihrer Wahrheit findet, erscheint die Dunkelheit jenseits des Geländers der Veranda enorm, sie scheint um uns herumzuströmen, wie das schwarze Meer zu der nahen Küste strömt. Die Nacht selbst ist der Ozean aller Ozeane und reicht bis an das fernste Ende des Universums, während der Mond, jeder Planet und jeder Stern darin schwimmen. Hier, in diesem Moment des Wartens, fühle ich fast, dass dieses Haus und die anderen sechs Häuser, das Lokal und die Tankstelle – deren Lichter wie Schiffslaternen wirken – in der Nacht hochgehoben und gedreht werden und in Gefahr sind, sich von ihren Tauen zu lösen.
Als sie eine Möglichkeit gefunden hat, sich ihrer Wahrheit indirekt anzunähern, ohne den Teufel bei seinem Namen zu nennen, sagt Ardys: »Sie sind Donny begegnet. Sie haben seine Narbe gesehen. Er hat gesündigt, und das war seine Strafe. Er dachte, wenn er es hinterlistig genug anstellt und schnell genug ist, würde er mit einem Messer unsere Freiheit erlangen. Stattdessen hat er es gegen sich selbst gerichtet und sich das eigene Gesicht aufgeschlitzt .«
Ich glaube, ich muss mich verhört haben. »Er hat sich das selbst angetan ?«
Sie hebt eine Hand, als wollte sie damit sagen: Warten Sie. Sie stellt ihren Kaffeebecher hin. Sie legt ihre Arme auf die Armlehnen des Korbsessels, aber ihre Haltung hat nichts Entspanntes an sich. »Wenn ich zu konkret werde … wenn ich erkläre, wieso er
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