Lichtlos 3 (German Edition)
den seltenen Fällen, wenn ich Tagträumen von einem Berufswechsel nachhänge, nur einen Job im Schuhverkauf oder vielleicht im Reifenverkauf in Betracht ziehe, denn das scheinen anspruchslose Arbeiten zu sein. Ich habe nur wenige materielle Güter und kein Rentenkonto, und ich besitze keinen Wagen und habe auch nie einen besessen. Was ich gerade mit Purvis Beamers Jeep Grand Cherokee vorhabe, genügt mir als Bestätigung dafür, dass es selbst dann, wenn ich das Geld hätte, mir ein schmuckes Auto zu kaufen, unklug wäre, wenn ich es täte, denn wenn ich in einem Notfall wie diesem mein eigenes Fahrzeug opfern könnte, würde ich niemals den Wagen eines anderen Menschen stehlen.
Ich bin angeschnallt. Ich verlasse mich – denn das muss ich ja – auf die Crashbauteile moderner Fahrzeuge, die bei Unfällen die Energie auffangen, um so den Fahrer im Inneren zu schützen. Trotzdem rutsche ich, als ich mich der Terrasse nähere, so tief auf dem Fahrersitz hinunter, wie es der Sicherheitsgurt zulässt, um das Risiko, dass ich von etwas geköpft werde, was durch die Windschutzscheibe knallen könnte, auf ein Minimum zu beschränken. Als die Reifen die Terrasse finden, lasse ich das Lenkrad los und schlage mir die Hände vors Gesicht, wie ein Kind es vielleicht auf dem höchsten Punkt einer Achterbahn tut, bevor es in die Tiefe geht.
Einen Moment vor dem Aufprall bewege ich meinen rechten Fuß vom Gaspedal auf die Bremse. Der Krach muss gewaltig sein, aber mir kommt es nicht so vor, weil der sich entfaltende Airbag mich kurz einhüllt, als sei er ein gigantisches Präservativ, und die Geräusche des Zusammenstoßes dämpft. In dem Moment, als mich der Airbag freundlich umfängt, trete ich das Bremspedal durch, das Holz der Schiebetüren knattert wie eine rasche Salve von Gewehrschüssen, gemartertes Metall kreischt, und die Windschutzscheibe zerspringt. Während er mit schlingerndem Heck in das Zimmer kracht, zerschmettert der Grand Cherokee Gegenstände, von denen ich mir vorstelle, dass es Sofas und Sessel und andere Möbelstücke sind, aber ich bin nicht blöd genug, mir auch nur die geringsten Hoffnungen zu machen, das Hiskott-Ding sei gerade getötet worden, während es in einem Liegesessel schlummert.
Als der Airbag in sich zusammenfällt und der Grand Cherokee zum Stillstand kommt, schalte ich den Motor aus. Falls der Benzintank einen Riss bekommen hat, will ich vermeiden, einen Brand zu entfachen, der die Aufmerksamkeit der regionalen Feuerwehrleute auf sich lenken und sie von dem Grasfeuer weiter nördlich in Harmony Corner abziehen könnte.
Ich scheine unverletzt zu sein. Am kommenden Morgen werde ich wahrscheinlich unter Schleudertrauma und anderen Schmerzen leiden, aber für den Moment scheint alles zu funktionieren.
Die Fahrertür ist verbogen und geht nicht auf. Die Beifahrertür lässt sich noch öffnen. Als ich aus dem Fahrzeug steige, ziehe ich die Pistole unter meinem Sweatshirt hervor und rufe mir ins Gedächtnis, dass nur sieben Schuss im Magazin sind, nicht zehn.
Die Trümmer im Wohnzimmer machen es schwierig, genau zu sagen, wie dieser Raum vor meiner Ankunft ausgesehen haben mag. Aber an den Ecken der Decke sind Spinnweben und in einem der Netze ein Mobile aus Nachtfaltern und Fliegen, was andeutet, dass die Spinne nicht lange genug gelebt hat, um die Beute zu kosten, die sie mit ihrer Architektur angelockt hat, und auf allem liegt eine Staubschicht, die sich nicht in dieser ersten Minute, nachdem der Jeep die Türen aufgebrochen hat, überall niedergelassen haben kann.
Ich schwenke die Pistole in einem beidhändigen Griff von links nach rechts durch das Zimmer. Niemand. Nichts.
Nördlich von hier verstummen ächzend die Sirenen der Feuerwehrfahrzeuge. Die einzigen Geräusche im Haus sind das Ticken und Knacken des Grand Cherokee, der sich abkühlt und seinen Geist aufgibt.
Hiskott könnte erwartet haben, dass ich einen Einbruchsversuch unternehme, aber einen der konventionelleren Sorte. Das hier wird er nicht vorhergesehen haben. Aber jetzt weiß er mit Sicherheit, dass ich hier bin, und mein Erfolg hängt somit von der Schnelligkeit meines Vorgehens ab. Ich muss es schaffen, ehe ein besessenes Familienmitglied voller Mordlust auftaucht.
Ein Blick auf die Fenster zeigt, dass die Luft um dieses Haus und die Nachbarhäuser herum, die weiter unten auf ebenem Boden stehen, weitgehend klar, der Rest von Harmony Corner jedoch weiterhin von brodelnden Wolken aus Ruß und Asche eingenebelt ist.
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