Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
ihr frisch gewonnenes Leben zerstörte. Sie hatte noch viel vor sich, begriff momentan nicht einmal ansatzweise, welche Faszination ein Leben als Akkadia für sie bereithielt. Und ein Leben als seine Gefährtin. Zum Teufel! Er konnte nicht so einfach aufgeben! Immerhin trug er eine Verantwortung für dieses Leben, für dieses Geschöpf, dem er sein Herz versprochen hatte.
Entgegen aller Vernunft zwang sich Thanju, sein Tier in den Vordergrund zu schicken, vertraute auf dessen Stärke, die ihn noch nie im Stich gelassen hatte. Dieses Mal war er es, der die Hilfe seines Löwen in Anspruch nehmen musste. Der ihm einen Weg in die Freiheit wies, auch auf die Gefahr hin, ihn laufen zu lassen und schließlich selbst um Beherrschung zu ringen. Und obwohl Ju seinen Kopf kaum bewegen konnte, gelang es ihm, den Mund zu öffnen. Er ließ seine Fänge ausfahren und versenkte sie im Nacken seiner Frau.
Elín knurrte, ließ trotzdem nicht locker. Und Ju trank, nahm ihre heilende Kraft in sich auf und spürte das Leben zurück in seinen Körper fließen. Naham dankte es ihm und begann, die Wunden zu versorgen. Seine Muskeln verhärteten, das Herz beschleunigte und die Gefäße weiteten sich, ließen Elíns Stärke wie ein Feuer durch seinen Körper rasen. Er kam auf allen Vieren hoch und stützte sich auf, griff nach ihren Handgelenken und zog die Klauen mit ganzer Kraft aus seiner Haut hervor, hielt sie hinter Elíns Rücken fest und löste mit der zweiten Hand einen ihrer Füße. Thanju konzentrierte sich, sammelte die göttliche Macht, die durch seine Adern rauschte. Er zog seine Fänge zurück, gab ihrer Schulter einen Kuss und schleuderte Elín mit ganzer Gewalt von sich. Sie flog brüllend durch die Holztür und krachte an die gegenüberliegende Wand der Suite.
Warmes Blut floss über seine Brust und Elín spuckte das Fleisch aus ihrem Mund, das sie seinem Hals eben entrissen hatte. Sie hockte auf allen Vieren, mehr Tier als Mensch. Ihre Augen glühten, von den ausgefahrenen Fängen tropfte goldener Saft, sämtliche Muskeln waren angespannt und die Klauen vergruben sich im Parkett.
In diesem Moment begriff Ju, dass ihm ein fürchterlicher Fehler unterlaufen war.
Durch die beigefarbenen Vorhänge drang schwaches Abendlicht, zeichnete einen rötlichen Schimmer auf Elíns goldener Schulter. Ihr animalisch verzerrtes Gesicht zeigte für einen kurzen Moment Ungläubigkeit, als begriffe sie, was geschehen würde, was unaufhaltsam war.
Sie sackte zu Boden und schrie, wand sich krampfartig auf dem Parkett, zog mit den Klauen tiefe Furchen hinein und bäumte sich auf. Doch Ju stand selbst kurz davor, in den Abgrund zu springen – er konnte nicht zu ihr, konnte nicht ins Licht.
Elíns Wirbelsäule zeichnete sich unter der Haut ab und drückte nach außen. Die einzelnen Knochen wuchsen, genauso wie Arme und Beine. Die schillernde Zeichnung ihrer Bestie dehnte sich auf den ganzen Körper aus, vereinnahmte ihn. Und aus dem gemalten Fell wurde echtes. In goldblonden Bahnen überzog es ihre Haut, verbarg die menschliche Hülle und ließ sie weiter anwachsen. Elín trat um sich, beschädigte zwei Bettpfosten, ließ den cremefarbenen Sessel durch die Luft fliegen und brüllte weiter fort. Ju redete die ganze Zeit auf sie ein, konnte aufgrund des Lärms aber keines seiner eigenen Worte verstehen. Er wusste, wie eine Verwandlung vonstatten ging, doch für Elín war es das erste Mal und dementsprechend schmerzhaft. So sehr er es auch wollte, er konnte es weder verhindern noch ihr diese Tortur irgendwie erleichtern. Sie musste selbst lernen, damit zurechtzukommen.
Die Akkadia schlug ihre riesigen goldfarbenen Klauen in den Fußboden und präsentierte sich in ihrer bestialischen Schönheit. Von Elín war nichts mehr zu sehen, Naham hatte sie verdrängt, hatte ihren Platz eingenommen. Ein fast zweieinhalb Meter langer Löwe starrte mit himmelsgleichen Augen auf Thanju hinab, erfüllte den Raum, wie es nur ein gottgleiches Geschöpf konnte. Er hob die Schnauze zur Zimmerdecke und brüllte, erschütterte das gesamte Gebäude. Wenn Ju bislang geglaubt hatte, er könnte diese Vorkommnisse irgendwie unterschlagen, so verflog seine Hoffnung spätestens jetzt.
Eine Gänsehaut überkam den Tibeter. Niemals hatte er ein schöneres Tier gesehen. Wo es Elín an Reife mangelte, strotzte ihre Bestie nur so von königlicher Erhabenheit. Sie richtete die geschwungenen Hörner auf ihn aus und schien ihn zu betrachten, schnaufte und schüttelte die golden
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