Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
Tage lang. Wir hatten uns geschworen, immer für einander da zu sein. Doch als ich am vierten Tag nach Hause kehrte, packte mein Vater mich am Arm, schleifte mich nach draußen und warf mich auf die Ladefläche einer klapprigen Kutsche. Meine Mutter stand weinend in der Haustür, und er erhielt vom Kutscher ein kleines Bündel Geldscheine. Auf der Ladefläche kauerten noch andere Kinder aus unserem Dorf, doch Diriri habe ich zu Lebzeiten nie wieder gesehen.“
„Wann war das?“, fragte Elín atemlos.
Er überlegte. „Achthundertsechsundsiebzig nach Christus.“
„Das ist nicht wahr.“ Elín beugte sich mit offenem Mund nach vorn. „Du kannst unmöglich so alt sein!“
„In der Realität der Akkadier ist vieles möglich.“
„Akkadier? Ist es das, was du bist?“
„Was wir sind, ja.“
„Ich … Halt mal! Noch mal zurück. Wie konntest du Diriri Jahrhunderte später wiederfinden?“
„In den frühen Achtzigern des neunzehnten Jahrhunderts führten wir Krieg gegen die Taryk, hatten eines ihrer Verstecke in Machu Picchu gefunden. Dort traf ich sie wieder. Als gewandelte Akkadia. Doch wir hatten uns beide verändert. Diriri war nicht mehr das mutige kleine Mädchen, das jedem trotzte. Obwohl sie unglaubliche Stärke besaß, wirkte sie eingeschüchtert und ich habe sie nie nach den Gründen dafür gefragt, habe mich in all den Jahren nie für ihre Vergangenheit interessiert. Habe von ihr immer nur Gehorsam und Pflichtgefühl erwartet und war nicht einmal dann zufrieden, wenn sie meine Erwartungen übertraf. Ich … war ihr kein Freund.“
Er tat ihr so leid. Sie wollte ihn in den Arm nehmen und trösten, rutschte unweigerlich auf ihn zu, hielt dann aber inne. Das war einfach nicht der richtige Ort dafür.
„Mach dir keine Vorwürfe.“
„Vorwürfe? So habe ich das noch nie betrachtet.“
Ju kehrte ihr den Rücken zu und stand plötzlich auf. Sein riesiger Körper dampfte vor Hitze. Und zum ersten Mal sah sie die farbenprächtige Tätowierung auf seinem Rücken. Ein Löwe mit Hörnern, dessen feuerrotes Fell selbst hier in der Dunkelheit zu leuchten schien, als könnte man sich daran verbrennen. Das Tier kletterte an seiner Wirbelsäule hinauf, die Pranken auf dem linken Schulterblatt, als wollte es darüber springen, und wirkte so lebendig, schien sich auf den Muskelsträngen seines Rückens beinahe zu bewegen.
Heißes Wasser lief in Rinnsalen hinab zu Jus Hintern. Elín biss die Zähne zusammen. Ein Hintern zum Reinkneifen, definitiv. Auch seine langen Beine waren drahtig und trainiert. Einfach alles an ihm strotzte vor Kraft und roher Gewalt. Sogar die unzähligen Narben, die sein Vater hinterlassen hatte, schien er mit Stolz zu tragen.
Ju neigte den Kopf über seine linke Schulter. „Ich suche uns eine Unterkunft. Ruh dich noch ein wenig aus!“
Damit stieg er aus der dampfenden Quelle und verschwand in der Dunkelheit.
Elín schloss die Augen, doch alles, was sie sah, waren weltfremde Bilder, Dinge, die es nicht gab. Mit zu vielen Fragen im Kopf schlief sie ein.
Fernab der kalten Nächte Islands fand sie sich auf einer aus purem Gold gemeißelten Brücke wieder. Nebel schlich um ihre Füße herum und eine warme Böe wehte durch ihr Haar. Elín wusste, dass sie diesen Ort nie zuvor gesehen hatte, und trotzdem fühlte sie sich eigenartig geborgen, fast wie zu Hause. Sie ging einen Schritt nach vorn und schaute vorsichtig über die Brüstung. Was sie dort erblickte, tief unter ihr, musste die Erde sein. Doch das Bild schimmerte und bewegte sich, als würde es im Wasser liegen.
Erst jetzt bemerkte sie ihre ungewöhnliche Kleidung – eine weiße Robe, die locker auf ihren Schultern saß und bis zum Boden hinabfloss.
„Ich dachte mir, du würdest sicher ungern nackt durch deine Träume wandeln.“
Elín sah nach links. Eine engelsgleiche Frau kam barfuß auf sie zu. Ihr Gewand war blutrot und mit einer goldenen Palla geschmückt. Sie musste etwas kleiner sein als Elín selbst, dafür besaß sie wunderschöne weibliche Kurven. In rot und blond schimmernden Wellen ergoss sich ihre Haarpracht bis zu den Hüften. Das Gesicht glitzerte golden und die vollen Lippen verzogen sich zu einem ehrlichen Lächeln, das auch ihre bernsteinfarbenen Augen strahlen ließ. Sie blieb kurz vor Elín stehen und verschränkte die Finger ineinander.
„Wie schön du bist“, sagte sie mit einer schokoladenwarmen Stimme.
Elín sah an sich hinab, ihr strammer Körper – kein Vergleich zur Weiblichkeit dieser
Weitere Kostenlose Bücher