Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
tausend Geister stieg die Hitze der Quellen in die Nacht empor. Schon als Kind hatte Elín davon geträumt, einmal so weit ins Landesinnere zu reisen.
„Danke“, murmelte sie, bevor ihre Augen wieder zuglitten.
Mit wippenden Beinen saß Jolina auf der Kante des Springbrunnens am Marktplatz. Feuchte Luft wehte vom plätschernden Wasser über ihren Rücken, doch die Nervosität ließ sich dadurch nicht mindern.
Was sie plante, durfte sie niemandem erzählen, nicht einmal intensiv darüber nachdenken. Nicht, solange sie sich hier zwischen all den Göttern aufhielt, von denen einige mit Leichtigkeit in Jolinas Kopf hineinzuhören vermochten. Wobei sie eigentlich noch gar nicht von einer Planung reden konnte. Bislang hatte sie die Tochter des Feuergottes nur um ein Treffen gebeten. Man erzählte sich, dass die Halbgöttin über die dunkelsten Ecken Enûmas Bescheid wusste. Ein Wissen, das Jolina bislang absichtlich gemieden hatte.
Armada kam aus der Dunkelheit des Seitenweges, der zum Tempel des Nusku führte, und lächelte zaghaft, als sie Jolina erblickte. Sie wusste genauso wenig, was sie zu erwarten hatte, wie Jolina selbst.
Das knöchellange, dunkelrote Haar der Halbgöttin wirbelte bei jedem ihrer Schritte wie ein Umhang um den schlanken Leib. Sie trug ein dunkelblaues Seidengewand, unter dem die weiße Haut noch blasser wirkte. Und in ihren Augen brannte wildes Feuer. Nicht im übertragenen Sinne, sondern tatsächlich – ihre Iriden glichen einem tosenden Flammenmehr.
„Sei gegrüßt, Tochter Ishtars.“ Sie verneigte sich.
Jolina stand auf und nickte ihr zu. „Sei gegrüßt, Tochter Nuskus. Ich danke dir für das Nachkommen meiner Bitte.“
Armada lächelte kurz. „Wie kann ich dir helfen?“
Die Halbgöttin sah sich flüchtig um. Doch der Marktplatz war noch immer leer. „Ich … benötige Kontakt zur Kehrseite.“
Das Lächeln im Gesicht der Feuertochter verschwand. „Bist … du dir sicher, dass du solche … Wege beschreiten möchtest?“
Jolina holte Luft. „Ja. Ich muss.“
„So dann“, nickte Armada. „Du brauchst einen Sator, der dich zur Pforte geleitet und sich für dich verbürgt. Doch, verzeih meine Dreistigkeit, es bedarf außerordentlicher Vorsicht, zur Kehrseite zu gelangen. Von den Gefahren, die dort lauern, ganz abgesehen.“
„Das ist allein meine Sorge. Wo finde ich einen Sator? Wie sehen sie aus?“
Jetzt lächelte Jolinas Gegenüber wieder. „Nun“, begann sie und senkte den Blick. „Auf der Insel der Nihren solltest du fündig werden. Ihre Haut ist schwarz und auf ihren Köpfen tragen sie silberne Hörner.“
Er? Unsicherheit erfasste Jolina bei dem Gedanken, diesem Mann ein zweites Mal zu begegnen. Aber für das Wohl ihres Bruders würde sie jede Herausforderung meistern. Sie bedankte sich bei Armada, mit dem Hinweis, dieses Gespräch zu vergessen. Doch dass die Feuertochter Stillschweigen wahren konnte, bezweifelte Jolina nicht.
Als Elín aufwachte, gab es nur noch Wärme. Ihr ganzer Leib wurde von heißem Wasser umspült. Es schmiegte sich an jeden Zentimeter ihrer Haut.
Jeden Zentimeter?
Elín riss erschrocken die Augen auf und bedeckte ihren Oberkörper instinktiv mit Händen und Armen. Zur Hölle! Sie war nackt.
„Ruhig. Sonst reißt die Wunde auf.“
Und er war auch nackt! Saß neben ihr in der Quelle, die wie ein Whirlpool geformt war, und hatte seine Hand beruhigend auf ihre Schulter gelegt. Elín merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss.
Ganz ruhig, Elín! Es musste sein. Er konnte ihre Kleidung wohl schlecht bei Temperaturen um den Nullpunkt derart nass werden lassen.
Sie starrte geradeaus auf die dampfende Oberfläche, konnte ihn nicht anschauen. Nicht Ju. Er war ein spießiger, alter Kerl. Kein Mann, den sie nackt und nass sehen wollte. Zumindest versuchte sie sich das anzureden.
„Alles in Ordnung?“, fragte dieser tiefe, heisere Bass, dessen Vibrationen übers Wasser krochen und ihr eine Gänsehaut bereiteten.
„Jepp. Alles schick“, beteuerte Elín, während sie den Dampf beobachtete.
Er rutschte ein bisschen weg und damit weiter in ihr Sichtfeld hinein.
Von wegen alt.
Sein Brustkorb bestand aus runden Muskelplatten, genauso wie die massigen Schultern und Oberarme, die knapp aus dem Wasser ragten. Rechts und links am Hals verliefen breite Stränge hinauf zu seinem Kopf. Wassertropfen perlten vom breiten Kiefer hinab zu Jus Kinn, über dem die festen Lippen, mit denen er sie vorhin geküsst hatte, auch jetzt noch
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