Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
getötet worden, bevor sich der Angreifer über die Mutter hergemacht hatte. Tiefe Striemen spalteten die Haut des kleinen Körpers bis auf die blanken Knochen.
Im Magen des ehemaligen Dynasten bildete sich ein altbekannter, schwarzer Klumpen.
Fäulnis.
Verwesung.
Und das Gesicht des Kindes verschwamm vor seinen Augen, nahm andere Züge an. Züge, die Ju nur zu gut kannte. Es war das Gesicht seines eigenen Sohnes, den er tot vor sich sah. Die Last in seinem Bauch zog Ju nach unten, bis er den einen schmerzhaften Punkt erreichte. Er hörte seinen eigenen Atem schneller werden und fühlte seine Augen brennen. Und viel zu spät registrierte er, dass er nicht mehr allein in dieser Hütte war.
„Du Monster!“, waren die Schreie des Vaters, die Ju gleichzeitig mit dem Schrot seines Gewehrs erreichten. Metallsplitter bohrten sich durch seinen Rücken, zerfetzten sein Herz und ließen die von Qualen zerfressene Welt um ihn herum ins Dunkel stürzen.
Während er zu Boden sackte, wurden auf den Stufen der Veranda eilige Schritte laut. Er fühlte den toten Körper, auf dem er landete, und hörte Elín erschrocken Luft holen. Alles lief viel zu langsam ab. Doch das spielte keine Rolle mehr. Er ergab sich der Tiefe, die ihn nach unten lockte, ergab sich ihr freiwillig, ließ sich ins Nichts fallen.
Auf die wohltuende Stille in seinem Kopf folgte das gewaltige Brüllen einer Akkadia – nur ein einziges Mal. Dann war alles ruhig und friedlich. Bis er ihre zarten Hände auf seiner Haut fühlte. Sie zerrten an ihm, pressten sich gegen seinen Rücken, drehten seinen leblosen Körper herum.
Sie keuchte.
Sie flüsterte seinen Namen.
Sie zitterte und ihr Wehklagen wurde lauter.
Nein! Nein! Nein!
Immer wieder rief sie dieses Wort. Sie wollte ihn nicht gehen lassen. Sie wollte nicht, dass er seinen Sohn endlich wiederfand. Sie gönnte ihm sein wohlverdientes Ende nicht.
Warum nicht, Elín?, flehte er in Gedanken. Lass mich Ruhe finden. Lass mich gehen. Meine Unsterblichkeit hat lang genug gewährt.
Ich bitte dich.
Sie schrie.
Sie weinte.
Sie zog seinen Leib nach oben und klammerte sich daran fest.
Sie schickte solches Leid zu ihm und badete in totaler Verzweiflung.
Doch alles, was Ju in diesem Moment wollte, war gehen, wiederfinden, vereint sein.
Und einer Erlösung gleich erstrahlte die Sommersonne um ihn herum. Er spürte ihre Wärme auf seiner Haut, fühlte die Heilung, erkannte den Segen. Die Schmerzen in seiner Brust verschwanden, Stärke erfüllte seinen Körper. Und tatsächlich. Mit neugewonnener Kraft gelang es ihm, seine Augen zu öffnen.
Doch was Ju sah, war nicht das Erhoffte.
Anstatt im gleißenden Schein Enûmas fand er sich zwischen den dunklen Holzwänden der Hütte wieder. Noch immer inmitten der Leichen war er der Welt kein bisschen entkommen. Hatte seinen Körper nicht verlassen, hatte die tödliche Verletzung aus irgendeinem Grund überwunden. Er fühlte sich wie frisch geboren und hasste sich dafür. Warum hatte die Müdigkeit, die er im Herzen trug, nicht auf seine Bestie übergegriffen. Bei den Schicksalsgöttinnen! Was sollte er noch alles durchmachen, bis ihm die endgültige Erlösung gewährt wurde?
Elín lag auf ihm, bewusstlos, doch sie atmete. Wahrscheinlich hatte sie sich in Ohnmacht gefürchtet, zu Tode erschrocken. An diesem Punkt war es nun doch zu viel für sie geworden. Kleine zarte Seele!
Ju drehte seinen Kopf Richtung Tür. Die ersten Lichtstrahlen bahnten sich einen Weg auf ihn und Elín. Er musste sie hier wegbringen. Und genau jetzt empfand er den vertrauten Hafen von Avenstone, besonders für sie, als äußerst einladend.
In der Dusche ihres Schlafgemaches gab Roven seiner Selene einen innigen Kuss auf ihre geröteten Lippen und ließ seinen Blick ein letztes Mal über ihren nackten, nassen und golden glitzernden Körper gleiten. Sie lächelte aus schweren Lidern heraus, hinter denen ihre Augen noch immer weiß leuchteten. Das Abbild ihrer Bestie schillerte in sattem Türkis und der Geschmack ihres heiligen Blutes auf Rovens Zunge könnte ihn zu neuen Schandtaten reizen. Doch seine beiden Frauen waren erschöpft – vom Sex und von den vorausgegangenen Kämpfen mit den Londoner Taryk.
„Ich wasche mir noch die Haare“, bat sie ihn um eine Pause, die er ihr nur widerwillig gewährte.
Der Akkadier ließ seine Gefährtin allein, trocknete sich ab und zog eine lockere Jogginghose über. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einer tiefen Befriedigung in sich verließ
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