Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
wie die Hitze in ihren Wangen hinaufkroch. Sie würde weder in ihr altes Leben zurückkönnen noch ihre Eltern davon überzeugen dürfen, dass es ihr gut ging.
Plötzlich satt schob sie den schweren Stuhl zurück, erhob sich und ging durch die Flügeltüren nach draußen. Je weiter sie kam, desto trüber wurde ihr Blick. Sie begann zu rennen, hetzte die Stufen hinauf und kehrte in den einzigen Raum zurück, der ihr noch geblieben war. Ein fremdes Zimmer an einem fremden Ort.
Kapitel 12
Nachdem sie den sandigen Pfad verlassen und ein kleines Waldstück durchquert hatten, bog Daman den Wagen auf eine Wiese ein und stellte den Motor ab.
„Warum hältst du?“, fragte Jolina empört.
Er sah zu ihr hinüber und musterte sie mit demselben unpassenden Blick, der ihr schon beim ersten Mal die Luft genommen hatte. „Verzeiht, meine Göttin. Aber ich müsste mal pinkeln.“
Jolina riss den Mund auf, doch der Sator stieg ungerührt aus dem Wagen und bahnte sich einen Weg durchs angrenzende Gestrüpp, bis er nicht mehr zu sehen war.
Die Halbgöttin schaute sich um – hier war sie noch nie gewesen. Sie stieg vorsichtig aus und lehnte sich von außen gegen die schwarze Tür des Fahrzeugs – ein Mustang, wie ihr mittlerweile eingefallen war. Und wenn sie sich recht erinnerte, hatten diese Fahrzeuge zu ihrer Zeit nur dazu gedient, unglaublich hohe Geschwindigkeiten zu erreichen und in alle Einzelteile zu zerfallen, sobald es zu einem Unfall kam.
Daman war bislang recht ordentlich damit umgegangen. Trotzdem würde die Teleportation ihre bevorzugte Fortbewegungsweise bleiben. Zu schade, dass Satoren scheinbar nicht über diese Fähigkeit verfügten. Und da Jolina sich nur an Orte begeben konnte, die sie zuvor besucht hatte oder die sie mithilfe der Sichtschale ihrer Mutter aufrufen konnte, würden sie und der Sator die Landschaften Enûmas auch weiterhin mit einem Mustang erkunden.
In der Ferne konnte sie die mächtigen Gipfel der Götterberge erkennen – das Reich der Schicksalsgöttin Aruru, welches man nur auf Einladung betreten sollte. Von dort hatte Annelha einst Jolina und ihre Brüder abgeholt. Wenn man als Gott Nachkommen empfing, geschah dies immer nur mit Einverständnis der Schicksalsboten.
Und während Jolina die endlosen Felswände und schneebedeckten Dächer betrachtete, keimte in ihr der Wunsch, selbst einmal dort zu sein. Aus welchem Grund auch immer. Aber als einfache Halbgöttin würde ihr diese Möglichkeit verwehrt bleiben. Warum also träumen?
Sie löste sich von der Vorstellung und kehrte zurück zu der Wiese, auf der das Fahrzeug stand. Ringsherum wuchsen wunderschöne Wildblumen. Mit sanftem Wiegen folgten sie der Bewegung des Windes und wären wohl am liebsten mit ihm fortgeflogen, so, wie es auch die Blätter taten. Jolina fragte sich, wie es wohl war, wenn man jederzeit überall hinfliegen konnte. Wenn man nicht kontrolliert, nicht beobachtet wurde. Wenn man keine Verantwortung hatte. Wenn man einfach nur für sich selbst leben durfte.
Hinter ihr knackte ein Ast und ließ die Halbgöttin herumfahren. Daman hatte sich ans Auto gelehnt, den Kopf auf seine massigen Unterarme gestützt und betrachtete sie amüsiert.
„Was würde ich dafür geben, deine Gedanken lesen zu können.“
„So etwas tut man nicht“, ermahnte Jolina ihn.
Er lachte. „Ich würde es trotzdem tun.“
„Und was würde dir das bringen?“
„Hmm.“ Der Sator zuckte mit der rechten Schulter. „Aus jedem Wissen lässt sich ein Vorteil schlagen.“
„Ach so?“, antwortete sie und zog die Brauen nach oben. „Das ist es, wonach du suchst?“
Daman kniff die Augen zusammen, stieß sich vom Fahrzeug ab und stieg ohne ein weiteres Wort ein.
Jolina zögerte. Hatte sie ihm Unrecht getan? Sie wusste nicht viel über Satoren, aber wer mit der Kehrseite zu tun hatte, war wenig vertrauenerweckend. In diesem Moment fiel ihr die Situation im Tempel der Nihren wieder ein und sie schämte sich. Wenn er so selbstsüchtig wäre, wie sie es ihm unterstellte, hätte er sie dort nicht gerettet, sondern ihre Hilflosigkeit ausgenutzt. Nicht einmal, als sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, war seine Zurückhaltung gewichen.
Die Halbgöttin öffnete die Beifahrertür und stieg ein.
„Entschuldige“, murmelte sie und sah ihn an.
Daman erwiderte ihren Blick und nickte. Nachtragend schienen sie zumindest nicht zu sein – diese Satoren.
Er legte den Rückwärtsgang ein, setzte wieder auf den Weg und fuhr weiter. Sie
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