Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
weiter!“ Er hielt Jolina seine Hand hin, wollte ihr aufhelfen, doch sie verschränkte ihre Arme ineinander und blickte stur zu ihm auf.
„Bitte! Wenn es dich glücklich macht“, stieß er hervor. „Es war mein Urin! So!“
„W…?!“ Ihr Kiefer klappte nach unten, sie löste ihre Arme und schüttelte den rechten, als ob sie die Reste der Flüssigkeit damit loswerden könnte, erhob sich panisch und blickte ihn entsetzt an.
„Du hast mich“, ihr Finger zitterte, als sie auf sich zeigte, „angepinkelt?!“ Das Wort kam mehr als Schrei.
„Nein. Ich habe in eine Schale gepinkelt und mit dieser hochwertigen Tinktur deine tödliche Bisswunde behandelt!“
„Das … ist absolut inakzeptabel! Und ich kann mir kaum vorstellen, dass diese Wunde mein Leben beendet hätte.“
„Glaub mir, das hätte sie“, antwortete er mit einem überraschend ernsten Gesichtsausdruck. „Dein Arm wäre schwarz geworden, irgendwann abgefault, und der Rest deines“, er machte eine Pause und sah sie von Kopf bis Fuß an, „göttlichen Körpers wäre ihm gefolgt.“
„Und da hilft so etwas Profanes wie der Urin eines Sators?“
„Erstaunlich, nicht?“ Daman grinste wieder. „Und jetzt komm! Ich will versuchen, vor dem Unwetter am See zu sein.“
Jolina sah nach oben in den wolkenlosen Himmel. „Was für ein Unwetter?“
„Es wird kommen.“ Er folgte ihrem Blick und nickte. „Das tut es immer.“
Kapitel 17
Elín hielt Jus Mantel fest umklammert und starrte auf die fünfhundert Meter entfernte Hütte, die so still und unberührt in der Nacht stand, dass man glauben könnte, es wäre rein gar nichts geschehen.
Zusammen mit Selene saß sie auf einer kleinen Anhöhe und beobachtete, was passierte. Neben ihr lagen sämtliche Waffen des Tibeters, die er, wie auch seinen grauen Mantel, abgelegt und ihr gegeben hatte, um sich ungehindert bewegen zu können. Roven befand sich auf halber Strecke zwischen ihnen und der Hütte – nur für den Fall, dass … etwas schief ging.
Selene hatte sich beruhigt. Doch in ihrem von Tränen geröteten Gesicht spiegelte sich noch immer blankes Entsetzen.
Elín war unsicher, wie sie sich verhalten sollte. „Selene, ich …“ Sie brach ab und schüttelte den Kopf. Es stand ihr nicht zu. Wieso hatte sie überhaupt etwas gesagt? „Entschuldige“, murmelte sie kleinlaut. Es gab nicht viel, was sie bei anderen Menschen abschreckte. Sie konnte mit Wut oder Angst prima umgehen. Aber nicht mit Trauer.
„Das Wesen, das dich angegriffen hat …“, begann Selene mit belegter Stimme und machte eine Pause, bevor sie fortfuhr. „Ich bin erst seit kurzem eine Akkadia. Bin durch seine Hand gestorben.“
Elín starrte sie an. „Das … ist ja schrecklich!“
„Ich hatte geglaubt, ihm gegenübertreten zu können. Meine Angst überwinden.“ Selene stieß den Atem aus. „Stattdessen war ich genauso wehrlos wie beim ersten Mal. Wäre er auf mich losgegangen – ich …“ Sie runzelte die Stirn und wischte sich eine stumme Träne fort.
„Ich glaube, das würde jedem so gehen, der seinem Mörder gegenübersteht“, murmelte Elín unbeholfen.
„Nein. Einer Akkadia nicht.“
„Aber deine Bestie hätte dich sicher beschützt“, beteuerte sie.
Selene antwortete nicht.
Elín schaute sie ein paar Sekunden an. Dann ertrug sie den Kummer in Selenes Augen nicht mehr und sah wieder nach vorn. „Ich hoffe, es geht alles gut.“
„Ich auch.“
Innerhalb der letzten halben Stunde hatten Elín und Ju alles vorbereitet. Sie hatte versucht, an jedes Detail zu denken, obwohl nach einem Einsturz der Hütte nicht viel übrig sein dürfte.
In der kleinen Küche stand ein Teekessel mit Wasser auf der Herdplatte, daneben eine Tasse inklusive Teebeutel. Der Gashahn war aufgedreht, die Flamme fehlte.
Ju hatte den Toten vorsichtig hochgehoben und auf die Couch gesetzt, ihm Zigarette und Feuerzeug in die Hand gedrückt, während Elín den Fernseher und eine kleine Lampe angeschaltet hatte. Sein letzter Abend, war es ihr durch den Kopf gegangen. Sie arrangierten den schnellen und überraschenden Tod, den er nicht gehabt hatte. Makaber, wie sie fand. Ihn dort sitzen zu sehen, mit offener Kehle, toten Augen und fast grauer Haut – es schüttelte sie noch jetzt. Blutspuren gab es keine zu beseitigen, der Taryk hatte dieses Mal nicht einen Tropfen vergeudet.
Elín war anschließend nach draußen gegangen und hatte den Akkadier zurückgelassen. Seit fünfzehn Minuten wartete sie nun schon hier. Er hatte
Weitere Kostenlose Bücher