Lichtraum: Roman (German Edition)
ich ziehe dir bei lebendigem Leib die Haut ab, ehe ich dir die Kehle durchschneide.«
Ty nickte; ihm wurde schwindelig, als die Klinge sich in sein Fleisch drückte. Er hatte nicht einmal geschlafen, sondern mit geschlossenen Augen auf dem Bett geruht. Weil hatte sich ins Zimmer geschlichen und ihm das Messer an die Kehle gesetzt, ohne das geringste Geräusch zu verursachen.
»Ich weiß, wer du bist«, zischte Weil. »Ich wusste es in der Sekunde, in der ich dich zu Gesicht kriegte. Ich gehörte zu dem Sondertrupp, der losgeschickt wurde, um dich im Zuge der Auslieferung von den Territorien abzuholen, aber du entkamst, bevor wir dich in Gewahrsam nehmen konnten.«
Ty keuchte; pfeifend entwich sein Atem durch die Nasenlöcher. Seine Blase stand kurz davor, sich in einem Schwall von Urin zu entleeren.
»Du und diese anderen Uchidanischen Gottesficker sind schuld daran, dass ich einen Bruder verlor. Er war nicht mal ein Soldat, bloß ein Lehrer – eine ganze Schule wurde weggebombt. Wir hatten nicht mal eine Leiche, die wir begraben konnten. Wegen dir!«
Ty spürte den feuchten, warmen Atem des Mannes auf seinem Gesicht. »Ich habe keine Ahnung, wie lange sie dich hier festhalten werden«, fuhr Weil fort, »aber es kotzt mich an, dass ich dich bedienen muss. Am liebsten würde ich dich jetzt gleich töten«, fügte er hinzu, während er das Messer noch ein bisschen näher an Tys Halsschlagader heranbrachte. Der Druck der Klinge brannte wie Feuer auf seiner Haut. »Verstehst du, was ich dir sage?«
Ty vergegenwärtigte sich, dass der Mann auf eine Antwort wartete, und er nickte unter dem Gewicht der Hand, die auf seinen Mund drückte.
»Ich habe meine Vorgesetzten gewarnt. Ich sagte ihnen, wer du bist, aber sie wollten nicht, dass ich dich umbringe. Nur wegen
irgendetwas an Bord dieser Fregatte.« Weil führte sein Gesicht noch dichter an das seine heran. »Aber ich scheiß drauf! Sowie ich den Eindruck kriege, dass du dich von hier wegmachst, komme ich zurück. Ich und mein Freund hier«, legte er nach, die Klinge leicht bewegend. »Hast du Angst? Du hast verdammt Grund, dir vor lauter Angst in die Hose zu scheißen, Whitecloud. Denn mit dir bin ich noch nicht fertig!«
Plötzlich war der Druck gegen seine Kehle weg; Ty setzte sich aufrecht hin, fing an zu hyperventilieren und umklammert noch mit beiden Händen seinen Hals, als Weil durch die Tür huschte und sie hinter sich zuknallte.
Auf wackeligen Beinen erhob sich Ty vom Bett und taumelte zum Sessel; er ließ sich hineinfallen, krümmte sich zusammen und stöhnte vor Entsetzen.
Nach und nach heftete sich sein Blick auf die dunkle Stadt hinter dem Fenster. Es war töricht von ihm gewesen, so lange zu zögern; alles war besser, als hier noch eine Sekunde länger als nötig auszuharren.
Mit der rechten Hand stützte er sich an der Fensterscheibe ab und blickte nach unten; er konnte gerade noch die Rampe direkt unter sich ausmachen. Selbst wenn es ihm gelänge, das Glas zu zertrümmern, sogar wenn er eine Atemmaske zur Hand hätte, würde er durch den Aufprall am Boden sterben.
Stattdessen reckte er seine linke Hand in die Höhe und schwenkte sie mehrere Male in einem Bogen von links nach rechts.
Ob sie ihn auch jetzt noch beobachteten, mitten in der Nacht. Vielleicht nicht.
Doch wenn ja, dann gab es nur eine Möglichkeit, um sich zu vergewissern.
Kurze Zeit später – er schätzte, dass nicht mehr als zwanzig Minuten vergangen waren – bemerkte Ty Fahrzeugscheinwerfer,
die sich auf einer langen Straße der Residenz näherten, bevor sie die Luftschleusen-Rampe hinabtauchten. Bei genauerer Betrachtung entpuppte sich das Vehikel nur als einer der üblichen unbemannten Versorgungstrucks.
Er setzte sich wieder hin und fühlte sich seltsam enttäuscht. Dann hörte er ein fernes, gedämpftes Scheppern, als die Luftschleusentür sich öffnete und wieder schloss. Er schluckte und fuhr fort, auf die in der Schwärze glänzenden Lichter der Stadt zu starren, während er sich fragte, wer außer ihm noch aus irgendeinem Fenster sah, und was diese Leute wohl dachten.
Ein irrsinniger Lärm ließ das Gebäude erbeben. Drinnen wie draußen schrillten Alarmsirenen.
Im Korridor erklangen polternde Schritte und Gebrüll, und zu seinem Schreck bemerkte er, dass das Fenster seiner Suite jede Menge sternförmige Risse aufwies. Schon driftete Rauch daran vorbei.
Ty sprang hoch und hetzte zur Tür. In der Botschaft hatte man ihn aufgefordert, er solle sich zur
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