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Lichtspruch nach Tau

Lichtspruch nach Tau

Titel: Lichtspruch nach Tau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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»Ich habe bei Korinth gekämpft.«
»Gib sie trotzdem her. Sonst schreie ich, daß du mich schlägst.«
»Ich kann nicht. Sie gehört zu einer unbekannten Spezies.«
»Dann erst recht.«
»In ihr liegt ein großes Geheimnis verborgen.«
»Ein Geheimnis?« interessierte sich Kritias. »Erzähle.«
»Die Sache ist die…« Platon versuchte angestrengt, sich ein genügend interessantes Geheimnis auszudenken. »Die Sache ist die… Diese Muschel ist das einzige, was von einem bedeutenden Land übriggeblieben ist.«
»Und wo ist das Land?«
»Wo? Natürlich im Meer versunken.«
Platon atmete auf. Der erste Schritt war getan.
»Alles ist versunken?«
»Alles.«
»Warum?«
»Das ist sehr lange her.«
Platon hoffte vergebens, daß diese Antwort den Schlingel zufriedenstellen würde.
»Aber wenn es so lange her ist, woher weißt du es?«
»Mir hat es ein ägyptischer Priester erzählt.«
»Und ihm?«
»Sein Großvater.«
»Ein ägyptischer Großvater?«
»Natürlich ein ägyptischer.«
»Und was hat der Großvater ihm erzählt?«
Kritias forderte Platons ganze Phantasie heraus. Der Gelehrte wollte nicht die Waffen strecken.
»Er hat ihm erzählt, wie der Gott Poseidon sich dort in ein einheimisches Mädchen verliebte und sich mit ihr auf einem großen Berg niederließ. Ihnen wurden fünf Zwillingspaare geboren, wie deiner Tante.«
»Die Tante hat nur ein Zwillingspaar, sie wurden nicht geboren, sondern der Storch hat sie gebracht.«
»Richtig«, besann sich Platon. »Poseidons Zwillinge wurden auch von Störchen gebracht. Von einem ganzen Schwarm Störche. Die Zwillinge wurden Könige und regierten der Reihe nach dieses Land.«
»Waren sie stark?«
»Stark. Wie Atlas. Hat dir deine Mutter von ihm erzählt?«
»Die Jungs haben mir von ihm erzählt. Er stützt den Himmel. Großvater, wer stützt aber den Himmel, wenn Atlas mal muß?«
Platon war verwirrt. Das wußte er nicht.
»Unwichtig«, wehrte er ab und beeilte sich mit der Fortsetzung der Erzählung. »Also, dieses Land hieß Atlantis.«
»Dort hat Atlas den Himmel gestützt?«
»Ja, dort.«
»Und hat er sich vor Wölfen gefürchtet?«
»Vor Wölfen? Natürlich hat er sich gefürchtet.«
»Und die Zwillinge haben sich gefürchtet?«
»Kritias, stör mich nicht. Unterbrich mich nicht. Sonst vergesse ich alles.«
»Großvater, was ist ein Sklerotiker?«
»Woher kennst du dieses Wort?«
»Mutti hat es gesagt.«
Kritias sah den Großvater mit unschuldigen schwarzen Augen an, und Platon konnte sich nicht entschließen zu fragen, aus welchem Anlaß die Mutter dieses Wort gebraucht hatte. Er fuhr fort: »Natürlich hat sich Poseidon vor den Wölfen gefürchtet. Er hat sogar seinen Berg mit einem Kanal umgeben, einem runden Fluß, damit der Wolf nicht seine Zwillinge fressen konnte.«
»Und wenn der Wolf über den Fluß springt?«
»Da hat Poseidon noch einen Kanal gegraben.«
»Und wenn der Wolf…«
»Er hat noch einen Kanal gebaut, und nun hör auf, mich zu unterbrechen.«
Unmerklich war Platon in Fahrt gekommen. Seit langem interessierte ihn das Problem der idealen Gesellschaftsordnung. Er erläuterte Kritias seine Ansichten zur sozialökonomischen Struktur von Atlantis und bemerkte nicht, daß Kritias sich zu langweilen begann und die kostbare Muschel wegnahm.
»Und dann«, beendete Platon seine Erzählung, »wurden die Götter wütend und sandten Atlantis einen Vulkanausbruch, eine Überschwemmung und andere Katastrophen. Ich muß dir sagen, mein Junge, daß ich pessimistisch in bezug auf die Schaffung eines idealen Staates bin. Und eines Tages war es soweit: bums!«
»Bums!« machte sich Kritias fröhlich vom Geländer bemerkbar. Er warf die Muschel hinunter und freute sich, als er sah, was für eine Fontäne sie verursachte.
»Was hast du getan!« Platon sprang auf. »Da hast du ja was Schönes angerichtet!«
»Nichts soll von Atlantis übrigbleiben. Du hast ja doch alles erfunden. Drei Kanäle und fünf Zwillingspaare! So zu lügen! Und hau mich nicht, ich erzähle es Mutter!«
»Ich schlage niemals Kinder«, sagte der große Gelehrte. »Und überhaupt, stör mich nicht bei der Arbeit. Ich bin nicht dein Kindermädchen! Du bekommst gleich eine Tracht, und dann werden wir sehen, wer von uns Sklerose hat!«
Kritias begriff, daß der Spaß zu Ende war, wimmerte leise und versuchte, einen Schmetterling zu erhaschen. Als nach einer Stunde der Verlagssklave kam, um das Manuskript zu holen, lag vor Platon bereits die Papyrusrolle, beschrieben in der unleserlichen Handschrift

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