Lichtspruch nach Tau
das Leben der friedlichen Sommernacht unheilvoll vor.
»Stel«, flüsterte ihm jemand ins Ohr. »Stel!«
»Ja.«
»Ist etwas passiert?«
»Nichts«, sagte Stel, sah jedoch auf die Uhr und bemerkte,
daß er sich verspätet hatte. »Ich fange sofort an.«
In den anderen Städten waren die Abgesandten wahrscheinlich pünktlicher. Er ließ seinen Blick über das ungestörte Treiben auf dem Marktplatz schweifen, dann zog er sich mit etwas beklommenem Herzen zurück und stieg die Treppe hinauf. Er hatte während der toten Zeit der Stadt alles vorbereitet, um die Einrichtung in der lebenden Zeit wiederzufinden, aber daran dachte er nicht. Das Bild des erleuchteten Marktplatzes tanzte vor seinen Augen, und von der Freude, mit der er vor einigen Tagen die Nachricht erhalten hatte, daß er an einer Rettungsaktion teilnehmen sollte, war nichts mehr übriggeblieben. In Wirklichkeit war die naive Freude bereits verschwunden, als er die eigentümlich bekannten Fassaden der verätzten Häuser passiert hatte.
Als er oben angekommen war, nahm er im schwachen Licht, das durch die Fenster vom Marktplatz heraufschien, die Wände wahr, an denen aufgereiht die Bilder hingen. Dunkel wuchsen die Formen der Statuen aus dem Fußboden heraus. Er sah genug, um sich zu orientieren, so daß er sich ohne zu zögern dem Fenster in der Ecke zuwandte. Hinter dem Vorhang fand er seinen Teil des Übertragungsgeräts. Die Empfangskoordinaten standen fest, und er mußte sich nur noch mit dem gleißenden Trichter direkt vor jedes Stück stellen. Geistesabwesend löste er den Knopf aus. Das riesige, in einen Goldrahmen eingefaßte Bild verschwand. Er drückte auf den weißen Knopf, machte zwei Schritte und löste wieder aus. Die unklare Bronzefigur verflüchtigte sich. Da er an Rettungsaktionen gewöhnt war, versuchte er nicht einmal, sich den blitzartigen Weg der aufgelösten Gegenstände und ihre Materialisierung im identischen Saal, der rechtzeitig im Park der toten Kulturen im Herzen des Telemadon wiederaufgebaut worden war, vorzustellen. Während er vor die Kunstwerke trat, beeilte er sich, höchstens an irgendein Fenster zu gelangen, von dem aus er einen Blick von der Menge auf dem erleuchteten Marktplatz erhaschen konnte, deren ersticktes Echo bis zu ihm hinaufdrang. Er hätte es gern zeitlich verlängert, da er sich vor dem Augenblick fürchtete, an dem es zerstreut werden sollte, und vor dem Schweigen, das das andere, endgültige Schweigen vorwegnahm.
Jedoch schien niemand in der Sommernacht Eile zu haben, ständig zeigten sich andere Paare auf dem Platz, Fahrzeuge fuhren um den Platz herum, tauchten auf und verschwanden nach unbekannten Gesetzen.
So stieß er in der Dunkelheit vor und leerte Saal um Saal. Hinter ihm sahen die kahlen Wände wie von unzähligen blinden Fenstern durchbohrt aus, und der Raum wurde größer. Er war in einen kreisförmigen Saal vorgedrungen und richtete den Trichter auf den einzigen Mann aus Marmor, der sich in der Mitte wie ein armseliger Vertreter der Ewigkeit erhob, als eine Tür aufging und er plötzlich durch das von der Decke fallende Licht geblendet wurde.
Ein erschrockenes Mädchen. Sie sagte etwas und streckte ihre Arme nach ihm aus. Er bemerkte, daß ihre Finger zitterten. In Gedanken dankte er denjenigen, die entschieden hatten, daß die Mitglieder der Interventionsmannschaften Kleidung aus der Zeit trugen, in der sie einen Auftrag zu erfüllen hatten.
Er zog aus der Brusttasche die winzige Kapsel des Übersetzungsgeräts.
»… hier um diese Zeit?« vernahm er gerade noch den Schluß der beunruhigten Frage des Mädchens.
»Guten Abend«, sagte er ruhig und verbeugte sich. Dies hatte er bei den Männern ihrer Welt in den alten Filmen gesehen, die im Hörsaal von Telemadon vorgeführt wurden. »Was für eine schöne Nacht!«
»Das Museum ist aber schon seit drei Stunden geschlossen… Wenn du die Nacht bewundern willst, so kannst du das auf dem Platz besser.«
»Du hast mich nicht verstanden«, sagte er. »Die Nacht ist schön, weil ich mich hier unter Kunstwerken befinde… und vor einem lebenden Kunstwerk.«
»Hör zu«, meinte sie (und die Angst in ihrem Blick wich einem lustigen Zwinkern, ihre Stimme war nicht mehr so streng, wie sie es gewünscht hätte), »es ist nicht die Zeit zum… Ich glaubte, du seist ein Räuber.«
»Ich hoffe, daß du es nicht mehr glaubst«, meinte er lächelnd und war glücklich, daß er das Zimmer, in das er eben eingetreten war, noch nicht auszuräumen begonnen
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