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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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gekannt hatte. Dies war ein bloßer Speicherauszug, ein interaktives Tutorial, das durch ihren Eintritt in den Gedächtnispalast generiert worden war. Es erklärte, wie man auf Netzwerke, Bankkonten, Konzerndaten zugriff, wie man ein Imperium verwaltete, von dem es steif und fest behauptete, dass es jetzt ihr gehörte. Es erklärte ihr alles außer der einzigen Sache, auf die es wirklich ankam: Wenn sie hier war, wenn dieses Programm lief, dann musste Cohen verschwunden sein.
    »Ich muss immer trotz allem an das ABG-Netzwerk herankommen«, sagte sie, als die Belehrung beendet war. Sie fühlte sich wie betäubt, als würde ihre Stimme nicht aus ihrer Kehle kommen.
    Aber die anderen wollten es nicht zulassen, wollten ihr diesen Gefallen nicht tun. Und auch mit Hyacinthes Unterstützung
ließen sie sich nicht dazu überreden. »Cohen wollte das!«, sagte sie schließlich, wütend und erschüttert.
    Darauf folgte ein bitteres Lachen von einer Stimme, die sie bisher noch nie gehört hatte: eine mächtige, düstere Präsenz, die keinen Zweifel daran ließ, dass sie sich bisher nicht an den Gesprächen beteiligt hatte, weil sie Li so sehr verachtete. »Cohen wollte auch dich«, sagte ihr diese Stimme. »Und schau dir an, was er davon hatte.«
    Li hörte einen Unterton von bohrender Eifersucht. Die Eifersucht eines Kindes? Einer Geliebten? Oder war es etwas ganz anderes, ein Splitter von Cohens inhumaner Seele? Aber dies war kein Kind, wurde ihr klar. Es war Cohens alte Kommunikations-KI – die einzige Entität im um sich greifenden Zusammenbruch seiner Netzwerke, die imstande war, ihre Gefährten unter Kontrolle zu halten.
    Li war versucht zu antworten, zu streiten. Aber bevor sie einen Gedanken formen konnte, überschwemmte sie eine Welle von Zorn, kalt wie Eiswasser, und sie war abgeschnitten, die Verbindung unterbrochen, das Intraface abgewürgt.
     
    »Wohin gehen Sie?«, fragte McCuen.
    »Ich geh mal pinkeln.« Sie grinste gezwungen. »Wollen Sie mitkommen?«
    Er wurde rot. Mein Gott, wie ein kleiner Junge. Aber er blieb, wo er war. Und mehr hatte sie auch nicht von ihm erwartet.
    Sie trat in die Schatten und zog ihr Schmetterlingsmesser aus dem Gürtel, versuchte wieder ein Gefühl für seinen Schwerpunkt zu bekommen und spürte, wie die Klinge lilienartig aus dem kreuzförmigen Heft hervorwuchs.
    Sie konnte ihren Verfolger riechen. Sie konnte ihn mit den Härchen auf ihren Armen, mit ihren gesträubten Nackenhaaren, mit der Haut ihres Gesichts fühlen. Sie hätte
seinen Standort ertasten können, wenn es erforderlich gewesen wäre. Sie war jetzt tief in ihrem eigenen Territorium. Sie brauchte keine Karten, nicht einmal Cohens Karten. Sie war im Begriff, jemanden umzubringen. Und solange sie denken konnte, wusste sie schon, wie man das machte.
    Sie schob sich um eine Ecke, blieb stehen, lauschte, ging weiter, blieb wieder stehen. Sie versuchte die Dunkelheit und die Stille einzuschätzen.
    Sie versuchte auch sich selbst einzuschätzen. Stiefel mit schweren Sohlen, die auf Kies knirschen oder über Fels kratzen konnten. Kleidung, die verräterisch rascheln und rauschen konnte. Lose Schnallen, lose Riemen, lose Schnürsenkel. Und ihr eigener atmender, schwitzender, triefender Körper, der schneller Spuren ausdünstete, als ihre aktiven Pigmente sie überdecken konnten. Sie hatte einmal gehört, dass die ausgestorbenen Fleischfresser der Erde keinen eigenen Geruch gehabt hatten, aber das war eine Lüge, wie so vieles, was sich die Leute über den Planeten erzählten. In Wahrheit hatten sie es nur verstanden, ihren Geruch vor den Tieren zu verbergen, die sie belauerten – ein letztes, tödliches Geheimnis.
    Sie fand ihre Beute zwei Meter hinter der Biegung in den Stollen. Er saß im Dunkeln, mit dem Rücken an der Wand. Der Beatmer hing locker von seinem Kinn herunter, die Infrarotbrille lag auf dem Boden neben ihm. Er aß gerade etwas.
    Sie schob sich zentimeterweise an der Wand entlang, die Arme ausgestreckt, das Messer stoßbereit. Sie wartete darauf, dass er sich umdrehte. Wartete auf das vielsagende Atemstocken, das ihr verriet, dass er sie gehört hatte.
    Doch dazu kam es nicht.
    Im letzten Moment wehrte er sich noch, fuhr hoch und versuchte sie abzuwerfen, als ihre Linke ihn am Kopf packte und die Kehle straff zog. Aber dann war es vorbei.

     
    »Mein Gott!«
    McCuen. Mit einer Waffe in der Hand, die sie ihm besser abgenommen hätte.
    Sie ließ den Toten neben sich auf den Boden gleiten.
    »Sie haben ihn

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