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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mareike Giesen
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dem Krach soll man schlafen! Immer wieder langt mein
Verstand bei dem Interview an, und ich muss sagen, dass dies noch die
angenehmste Station meines imaginären Staffellaufs darstellt. Zeitgleich aber
sorgen die Aussagen von Martin Egger dafür, dass ich jedes Mal aufs Neue
lossprinten muss, egal, wie viele Runden ich schon absolviert habe. Dabei weiß
ich, dass ich niemals eine befriedigende Zeit oder dergleichen hinlegen werde.
Ich gleiche vielmehr Sisyphos, der rastlos versucht, den Felsbrocken auf den
Berg zu hieven, um den blöden Klotz dann kurz vor knapp wieder ins Tal purzeln
zu sehen. Nur mit dem Unterschied, dass Sisyphos wenigstens ungefähr wusste, wo
es lang geht.
    Aber es geht
weiter. Irgendwie geht es immer weiter. Das muss es doch. Oder?
    Martin Egger hat
schon Recht, wenn er sagt, dass auf dem Papier alles so leicht aussieht, dass
in der Theorie wie der Fiktion die Rechnung immer aufgeht. Hier folgt auf den
Sommer der Herbst, und dann kommt der Winter. Eine beruhigende Gesetzmäßigkeit,
die Sicherheit gibt. Aber im echten Leben?
    Die Liebe zwischen
Jonas und mir fing geradezu bilderbuchmäßig an, ein richtiges Teeny-Märchen:
Wir haben uns in der Schule kennen gelernt, ich besuchte gerade die neunte
Klasse, Jonas die elfte. Und obwohl er kein melancholischer Vampir war, der
sein Abitur zum hundertsten Mal wiederholte, hatten auch wir wahnsinnig
romantische Momente. Allein unser erster Kuss war so kitschig-schön, dass nicht
einmal Bollywood sich getraut hätte, ihn zu verfilmen – eine warme Sommernacht,
um uns herum nur Wiesen, Felder und ein nahezu wolkenloser Nachthimmel. Wir
lagen nebeneinander auf einer Decke, die vom Tau immer klammer und kälter
wurde, und starrten unverwandt in die Sterne. Und obwohl in dieser Nacht eine
Sternschnuppe nach der anderen über den Himmel fegte, waren wir beide wunschlos
glücklich…
    Es schien
jahrelang alles so perfekt! Zu perfekt, wie ich manchmal heimlich bei mir
dachte. Bigger than life, stranger than fiction . Wir hatten nie Streit,
nein wirklich, ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir auch nur einmal
laut geworden sind. Die größte Auseinandersetzung ging vielleicht darum, ob der
Schauspieler aus Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug der
gleiche ist wie in Hot Shots . (Ja, ist er.) Dabei weiß man doch, dass
jede Geschichte – und erst recht jede Liebesgeschichte! – so etwas braucht.
Etwas Dynamisches. Eben einen Herbststurm , der dich durchrüttelt und dir
damit zuletzt zeigt, wie fest du wirklich in deiner Beziehung verwurzelt bist.
Drama macht eine Geschichte erst gut. Aber das einzige Drama unserer Geschichte
war, dass es kein Drama gab. Unsere perfekte Beziehung ist einfach nach und
nach auseinandergebröckelt wie ein in die Jahre gekommener Keks.
    Ich kann gar
nicht mal sagen, wann genau es begonnen hat. Vielleicht vor einem Jahr?
Vielleicht schon vor drei Jahren? Irgendwann zumindest wurden diese kleinen
kostbaren Momente und Rituale, aus denen sich unsere Beziehung zusammensetzte,
immer seltener. Etwa das warme Gefühl in meinem Bauch, wenn ich Jonas zum
Lachen gebracht hatte. Die Geborgenheit, wenn ich beim Einschlafen seine Hand
auf meinem Rücken spürte. Die unzähligen Male, in denen wir exakt das Gleiche
dachten und sagten, so dass es mich schon fast gruselte… Das alles ist mit der
Zeit mehr und mehr verblasst, genau so wie die vielen kleinen Post-its mit
Liebesbotschaften, die mal an der Eingangstür, mal am Kühlschrank oder auch am
Nachttisch klebten. Irgendwann kam einfach kein Nachschub mehr, als gäbe es
emotionale Lieferschwierigkeiten. Und so wich unsere einstige Vertrautheit
einer zunehmenden Fremdheit. Oder eher noch – viel schlimmer – einer
erschreckenden Gleichgültigkeit.
    Was machst du,
wenn du dir einerseits bewusst bist, etwas Besonderes zu haben, du andererseits
jedoch merkst, dass es dir entgleitet, weil du aus unerfindlichen Gründen einfach
nicht mehr die Kraft hast, es zu halten? Wenn sich mit einem Mal sämtliche
Vorzeichen verkehren, und jede glückliche Erinnerung einen kleinen, fiesen
Stachel bekommt?
    An manchen Tagen
habe ich auch heute noch das Gefühl, dass, wohin ich auch sehe, mein Leben voll
gepflastert ist mit Post-its. Aber ihre Botschaft hat sich verändert, denn
statt kleiner Liebeserklärungen verkünden sie nur noch ein Credo: Nicht
vergessen: Ihr habt es vergeigt! Dann frage ich mich, worauf sich die
Statistik unseres Daseins wirklich gründet. Wenn zuletzt jedes

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