Liebe 2.0
seinem
eigenen Sendekonzept starten und nicht mehr zu McWeck antreten muss.
Gerüchten zufolge liegt sein Programmentwurf bereits beim Muttersender – es
kann sich also nur noch um Jahre handeln.
Ja, ja, wie die
Zeit vergeht! Anderthalb Wochen ist es jetzt her, dass Max und ich uns im Dark
Flower getrennt haben, ohne zuvor überhaupt zusammen gewesen zu sein. Ein
Kunststück, das man erst einmal fertig bringen muss! Ich kann gar nicht genau
sagen, wie es mir während der letzten Zeit erging. Was ich gemacht habe. Ob ich
zur Abwechslung irgendwelche Murmeltiere interviewt habe oder aber nackt in den
Stadtbrunnen gesprungen bin? Ich weiß es nicht. Kann sein – kann nicht sein .
Hat mich mein
Job vor Max’ Erscheinen lediglich angekotzt, so wird er jetzt zur absoluten
Qual. Keine spöttisch hochgezogene Augenbraue mehr, die das Geseiere der
Wichtigtuer abmildert, ehe es sich in mein Ohr und an meine Nerven frisst.
Keine pseudo-versehentlichen Zusammenstöße mehr auf dem Weg aus oder in die
Teeküche, die einen wie ein Defibrillator wiederbeleben und Energie für den
Rest des Tages liefern… Allein schon die Garantie, Max jeden Tag zu sehen –
einfach nur zu sehen, nicht mehr, nicht weniger – hat mir offensichtlich mehr
Kraft gegeben, als ich freiwillig je zugegeben hätte. Und jetzt, wo er weg ist,
fehlt irgendwie irgendwas. So, als habe man einen Verbündeten verloren. Oder
aber eben einen guten Freund, dem man die Freundschaft verweigert hat. Now
is vanishing everything what we might have been…
Angeekelt starre
ich auf den Kaffee vor mir, der mich mit seinem Krönungs-Duft zu betören
versucht. Keine Chance. Auch mein restliches Frühstück liegt wie schon die
letzten Tage unangetastet vor mir, und allein der Gedanke, in das weiche
Brötchen zu beißen und zu spüren, wie sich seine sandigen Schokokrümel langsam
aber sicher in meinem Mund verflüssigen, verursacht mir Schweißausbrüche.
Ich runzle die
Stirn und versuche, mich auf Svens Protokoll zu konzentrieren. Mir ein Beispiel
an der blonden Praktikantin zu nehmen, deren Namen ich zwischenzeitlich
erfahren und wieder vergessen habe. Sie hat Sven und Katja bei der Frühschicht
begleitet und wirkt trotzdem weiterhin von Mr. Mittelwelle begeistert. Ob ich
ihr ein paar Tipps im Umgang mit Kollegen geben soll? Never fuck the company .
Aber da dieses Wissen in jeder zweiten Cosmopolitan abgedruckt ist, wird
sie vielleicht nicht so blöd sein wie ich und es beherzigen.
Neben Katja
sitzt Max’ Nachfolger, ein etwas prollig wirkender Zwanzigjähriger mit
Goldkettchen und einem herzlichen Lachen. Kein Eisbonbon-Blinzeln, kein
charmig-schiefes Grinsen, kein Chrome , kein gewisses Etwas. Björn oder
so ähnlich, irgendetwas Nordisches. Ich denke, wir werden gut miteinander
auskommen. Ganz platonisch.
O, wie ich Max vermisse!
Da sich die allgemeine
Lebensmüdigkeit wie eine Decke über alle Anwesenden breitet und selbst Svens
ansonsten vor Kreativität qualmenden Kopf erstickt, ist die Sitzung relativ
kurz. Das Protokoll wird abgesegnet, die Pressetermine ausgeteilt wie
Spielkarten beim Poker, und jeder macht sich an seine Arbeit, um die Zeit zum
Feierabend schnellstmöglich herumzubringen. Auch ich sehe kein wirkliches
Problem darin, mal eben ein paar Nachrichten-O-Töne beim ortsansässigen
Sparkassenverbund einzufangen. Und danach habe ich nicht nur Feierabend,
sondern verlängertes Wochenende. Zu Hause. Bei meinen Eltern. Man gönnt sich ja
sonst nichts. Erst recht nicht eine Überdosis Familie, bei der ich schon jetzt
weiß, dass ich spätestens morgen Abend kurz vorm Goldenen Schuss stehe…
Trotzdem kann
ich es kaum erwarten, meinen Clan wieder zu sehen. Wenn ich nach zwei Stunden
mit der Bahn, einer halben Stunde Busfahrt und zehn Minuten Fußweg beim Haus
meiner Eltern ankomme, packt es mich immer wieder, dieses freudige Kribbeln und
gleichzeitige Entspannen. Weil ich weiß, dass ich endlich wieder irgendwo angekommen bin. Und so fange ich auf den letzten Metern stets an zu rennen, springe die
fünf Stufen zur Haustür in zwei Schritten hoch, falle dabei fast hin, weil mich
meine voll gepackte Tasche aus dem Gleichgewicht bringt, und klingele Sturm,
obwohl ich seit meinem zehnten Lebensjahr einen eigenen Schlüssel besitze. Aber
wozu brauchst du einen Schlüssel, wenn immer jemand da ist, der dir aufmacht?
Sobald du nach
Hause kommst, wirst du automatisch wieder Kind, ob du willst oder nicht. Dabei
ist es völlig egal, wie alt du bist und wie
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