Liebe 2.0

ist.“
    Mittlerweile ist der PC einsatzbereit,
aber ich bin es nicht mehr. Ich blicke auf meine Hände, die ausgestreckt vor
mir auf dem Tisch liegen. Unfähig, auch nur den kleinen Finger zu rühren, fühle
ich mich endgültig ganz unten angekommen. So viele Chancen. Null Verwertung.
Ein Loser. Und als jetzt auch noch ein Kinderchor einsetzt, kann ich nicht mehr
an mich halten. Ich schnappe meine Tasche und fliehe heulend aus der Redaktion.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     

Achtunddreißig
     
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Kopie:
    Betreff: WG:RE:Schreibnachwuchs
    Datum: 22.12.2010
09:34:46
    Hallo Liebes,
    habe mir erlaubt, bei der Georgia eine Schriftprobe von Dir einzureichen. Und ehe Du Dich über mein eigenmächtiges
Handeln empörst, lies Dir bitte erst die Antwort durch. Ich finde zumindest,
dass sie recht viel versprechend klingt. Am besten setzt Du Dich alsbald mit
Amelie in Verbindung – es sei denn, Du willst weiterhin über töpfernde
Hausfrauen und scheintote Senioren berichten. (Ich bin garstig, ich weiß!)
    Ach ja, und wenn es sich irgendwie einrichten lässt: Melde Dich doch
mal bei mir. Ich höre Deine Stimme zu gerne, aber Euer Sendeprogramm raubt mir
den letzten Nerv!
    In diesem Sinne bis bald,
    Martin
     

---Ursprüngliche Nachricht-----
Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Kopie: [email protected]
    Betreff: RE:
Schreibnachwuchs
    Datum: 21.12.2010
16:07:11
    Lieber
Martin,
    nun, wenn unser
Lieblingskolumnist mit einer Bitte an uns herantritt, so ist sie schwer
abzulehnen. Daher kannst Du Dir vorstellen, wie erleichtert ich bin, dass wir
mit dem Material tatsächlich etwas anfangen können :)
    In einer
unserer letzten Redaktionssitzungen wurde der Vorschlag gemacht, den guten
alten Fortsetzungsroman wieder aufleben zu lassen – kein leichtes Unterfangen,
erst recht nicht in einem monatlich erscheinenden Magazin! Deshalb haben wir
die Idee schweren Herzens auch vorerst wieder auf Eis gelegt…
    Und dann
kommst plötzlich Du daher und präsentierst uns diese Frau Wagner, das ist schon
lustig! Ihr Stil passt gut zur Georgia , und der episodische
Kapitelaufbau eignet sich ideal für unser Pilotprojekt. Ein Versuch wäre es in
jedem Fall wert!
    Ich würde vorschlagen, Du leitest meine Kontaktdaten einfach an sie
weiter. Es würde mich freuen, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten will.
    Beste Grüße,
    A.
    PS: Demnächst erscheint von uns
eine Ausgabe mit dem Thema „Beziehungskrise“. Vielleicht könntest Du hier mal
wieder Deinen kreativen Senf dazugeben. (In diesem Sinne auch Grüße von der
Chefin…)
     
     

---Ursprüngliche Nachricht-----
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Kopie:
    Betreff: Schreibnachwuchs
    Datum: 16.12.2010
23:37:25
    Liebe
Amelie,
    da ich
weiß, dass Ihr bei der Georgia immer auf der Suche nach etwas Neuem
seid, schicke ich Dir hiermit eine kleine Schreibprobe von meiner Bekannten
Julia Wagner. Sie probiert sich noch aus, hat aber meiner Meinung nach viel
Talent. Vielleicht habt Ihr ja Verwendung für sie und könnt ihr den mühsamen
Weg ins Autorendasein erleichtern.
    Beste Grüße,
    Martin
    PS: Liegt ein neuer Auftrag für
mich vor? Immerhin steht Weihnachten vor der Tür, und mein Patenkind braucht
neue Schuhe :-P
     
     
     
     
     
     

Neununddreißig
    Merke: Du kannst vor dem Leben
nicht wegrennen. Irgendwann holt es dich ein, und dann musst du dich ihm
stellen. Und das ist gar nicht mal so furchtbar, wie ich dachte. Nach dem
ersten Schock habe ich zunächst einmal Martin angerufen, um ihm für sein eigenmächtiges
Handeln zu danken. Es war ein ungewöhnliches Telefonat, fast schon
geschäftlich. Wäre da nicht der zärtliche Unterton in Martins Stimme, der mich
ahnen lässt, dass er für mich noch ganz andere Dinge tun würde. Trotzdem
beharrt er darauf, lediglich eine kleine Mail geschrieben zu haben, während der
Rest ganz und gar bei mir läge. Und für dieses Vertrauen in meine
Selbständigkeit bin ich ihm noch dankbarer.
    Während das Jahr zu Ende geht, ist für mich ein Anfang gemacht. Und egal,
was die Zukunft bringen wird: Die heute Abend anstehende Weihnachtsfeier im
Sender ist mit Sicherheit die erste und letzte, bei der ich mit von der Partie
sein werde. Ein guter Vorsatz!
    Beinahe beschwingt stapfe ich an
Astrids Seite durch den Schnee. Meine Christbaumkugelohrringe, die ich mir in
letzter Sekunde doch noch gekauft habe, wippen im Takt, und zusammen mit meinen
roten Locken und dem Grinch