Liebe 2.0
Vorbilder? Etwa Joseph Beuys, Jeff
Koons…“ Oder Uri Geller?
„Nein, wissen
Sie, das ist alles hier drin“, Frau Kreuzer-Almpfühl deutet auf ihren
gigantischen Busen, der über und über mit Hundehaaren übersät ist, „damit es
auf direktem Wege dorthin fließt.“ Dabei tippt sie mir forsch auf meine
linke Brust.
Beschämt
verschränke ich meinen Arm über dem Oberkörper. Sexuelle Belästigung am
Arbeitsplatz – sowas kann ich ja nun gar nicht leiden! Während ich versuche,
einhändig zusammenzupacken, und mich dabei frage, was ich eigentlich verbrochen
habe, dass mein Karma in einen solch desolaten Zustand geraten ist, fällt mein
Blick auf eine Leinwand, die unbeachtet in einer dunklen Ecke steht und sich
auffallend von allem anderen in diesem Raum unterscheidet: Zuerst erkennt man
nur ein harmonisches Gefüge plastischer Farben, die sich in einem zweiten
Schritt nach und nach zu einer traumähnlichen Landschaft zusammenfügen. Eine
ruhige, geradezu gelassene Schönheit geht von diesem Gemälde aus, so dass man am
liebsten wie Mary Poppins hineinspringen will, um diesem Gruselkabinett zu
entfliehen.
„Was ist mit
diesem Bild?“, frage ich Frau Kreuzer-Almpfühl, und zum ersten Mal an diesem
Tag bin ich an der Antwort wirklich interessiert.
„Das? Och, das gehört
nicht hierher“, winkt sie ab. „Die Künstlerin war vielleicht zweimal bei uns,
hat es dann aber drangegeben. Ist auch besser so, denn außer dieser wilden
Kleckserei ist nichts dabei herumgekommen.“ Ihr Blick wird abschätzig. „Es ist
aus unseren Restbeständen und versehentlich hier gelandet. Dabei passt es nun
wirklich nicht in das Konzept dieser Ausstellung!“
Da hat die gute Frau Kreuzer-Almpfühl wohl Recht.
Zurück im Sender, erreicht meine
Verzweiflung schließlich ihr volles Ausmaß, denn es ist klar, dass sämtliche
meiner Ideen, das Erlebte irgendwie angemessen zu verarbeiten, vom Chef
abgelehnt werden. Mir schwebt eine Mischung aus Loriot und Monty Python vor,
wenn ich Frau Kreuzer-Almpfühls Weltanschauung und meine eigenen Betrachtungen
über Sinn und Bedeutung rosafarbener Fruchtzwergbecher in einem anarchistischen
Feuerwerk verballere. Aber ich kenne meine Arbeitgeber schon viel zu lange und
weiß, dass auch der selbstironischste Stoff bei uns bierernst aufgearbeitet
werden muss. Wie oft habe ich deswegen schon erbitterten Streit mit Thomas
gehabt! Und am Ende läuft es immer darauf hinaus, dass ich die doppelte Arbeit
habe, weil ganze Beiträge noch einmal neu geschnitten und eingesprochen werden
müssen… Darauf habe ich jetzt echt keinen Nerv, nicht nach so einem Tag!
Seufzend
betrachte ich meinen halb aufgegessenen Mittagsjoghurt und mache mich in der
Hoffnung auf Inspiration – von Herz zu Herz! – an die Arbeit. Dabei
fabuliere ich über den Kosmos der Kreativität, der aus jedem einzelnen Stück
zum Betrachter spricht, und über die Möglichkeiten spiritueller Grenzerfahrung.
Dass der Besuch bei Frau Kreuzer-Almpfühl in ganz anderem Sinne grenzwertig
gewesen ist, verschweige ich ebenso wie die Tatsache, dass die meisten Exponate
dilettantisch zusammengeklebter Hausmüll sind. Stattdessen präsentiere ich dem
geneigten Hörer „charmant verfremdete Gebrauchsgegenstände, die uns einen ganz
neuen Blick auf unser alltägliches Leben ermöglichen“, und als ich fertig bin,
hat sich Frau Kreuzer-Almpfühls Doppelgarage zum MoMA gemausert.
Wie zu erwarten,
nimmt Thomas den betrügerischen Beitrag ohne Beanstandung ab, während ich
selbst nur noch nach Hause und unter die Dusche will. Ich fühle mich schmutzig.
Und das nicht wegen der harmlosen Nacktfotos im separaten Pavillon!
Siebenunddreißig
Die Lage im Sender spitzt sich
dramatisch zu. Gestern durfte ich im Rahmen unserer alljährlichen Advent-Homestory
„Von drauß’, vom Radio komm ich her“ Eugen Wilhelm Schmidt besuchen, einen
rüstigen Rentner im Alter von einundneunzig Jahren, der mir erzählte, wie er
sein schönstes Weihnachtsfest verbracht hat. Die Serie ist ein sentimentaler
Evergreen und gerade beim älteren Publikum sehr beliebt. Nichts zieht besser
als die Erinnerung an die gute alte Zeit, in der die Pfefferkuchen noch selbst
gebacken wurden und die Kinder mit blank geputzten Näschen Weihnachtsgedichte
aufsagten… Leider hat unsere aktuelle Praktikantin bei der Vorrecherche jedoch
übersehen, dass der gute alte Eugen auch noch
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