Liebe ahoi
rechnete, dass er aufsprang, sagte, er habe noch eine Verabredung und – typisch für David – keine Zeit für sie oder sonst jemanden. Wenn er doch nur andere Prioritäten gesetzt hätte, hätten sie es schaffen können, da war sie ganz sicher. Und als sie ihn jetzt so anschaute, fragte sie sich, ob sie all die Zeit darauf gewartet hatte, dass er zu ihr zurückkäme. Was für eine Zeitverschwendung. Was für eine blöde Zeitverschwendung. Damit war nun endgültig Schluss.
»Worüber wolltest du eigentlich mit mir reden?«, fragte sie und riss ihn aus seiner Starre.
»Was?«
»Du hast gesagt, du würdest gern mit mir über etwas reden.«
»Ach so.«
Erneutes Schweigen. Das war ja wie beim Zahnarzt. »Und?«
»Guten Morgen!«
Beth brauchte sich gar nicht erst umzudrehen, um zu wissen, zu wem die Stimme gehörte. Meine Güte! Stand am Aufzug etwa jemand, der sämtliche Mitglieder ihrer Reisegruppe direkt zu diesem Treffpunkt schickte?
Typisch Mona, dachte Beth, als diese um die Liegen herumkam und sich in Position brachte: Sonnenbrille um sieben Uhr morgens, obwohl die Sonne noch nicht mal richtig schien. Und auch sonst alles tipptopp wie immer. Schwarze Jogginghose und ein Shirt, das so eng war, dass Beth es allenfalls als Armband hätte tragen können.
»Sarah hat mir verraten, dass du hier oben bist«, sagte sie zu David.
»Ist was passiert?«, fragte er.
»Nein, ich dachte nur, ich leiste dir beim Joggen Gesellschaft. Störe ich etwa?«
Beth und David tauschten einen kurzen Blick, dann schüttelten sie den Kopf. »Überhaupt nicht«, antwortete Beth. »Wir haben nur ein wenig geplaudert.«
Mona nickte, als hätte sie genau diese Erklärung erwartet. Beth zermarterte sich das Hirn, ob sie Mona an diesem Morgen mental schon mit irgendwelchen Schimpfnamen bedacht hatte, aber sie konnte sich nicht entsinnen. Blöde Schnepfe. So, jetzt ging es ihr besser.
»Okay«, meinte David. »Dann los. Ich bin bereit, wenn du es bist.«
Als sie davonjoggten, überkam Beth ein unbehagliches Gefühl. Es ging sie absolut nichts an, aber vielleicht wurde es langsam Zeit, mal mit Sarah zu reden und ihr den einen oder anderen Hinweis zu geben. Sie sollte sich besser ein Fernglas besorgen, um Mona im Auge zu behalten, wenn die mit ihrem Mann unterwegs war.
*
Der Zeitpunkt war nicht ideal, aber Mona saß in der Klemme, und sie musste dringend etwas unternehmen. Achtundvierzig Stunden. Sie hatte noch genau achtundvierzig Stunden, um ihre Zukunft mit David klarzumachen und sich seiner Hilfe bei ihrem blöden Problem mit Adrian zu versichern. Schon bei dem bloßen Gedanken richteten sich ihre Nackenhaare auf. Wenn sie das alles hinter sich hatte, würde sie dafür sorgen, dass er für den Rest seines Lebens nur noch in Sibirien modelte – und zwar für Suspensorien.
Sie liefen eine halbe Stunde nebeneinander her, ehe sie sich an der nächsten Kaffeebar einen fettreduzierten Latte macchiato gönnten. Mit den dampfenden Gläsern setzten sie sich an einen Tisch in der Nähe des Schiffhecks. Okay, des Achterschiffs. Aber Mona fand es immer noch albern, es so zu nennen.
Schon nach wenigen Sekunden wurde ihr erneut bewusst, wie sehr sie harmonierten. Sie saßen gleich, hielten die Schultern gleich, tranken ihren Kaffee auf die gleiche Weise – alles zwischen ihnen war perfekt synchronisiert.
»David, wünschst du dir manchmal, man könnte die Zeit zurückdrehen und Vergangenes rückgängig machen?«
Er lachte. Das war nicht die Reaktion, die sie erwartet hatte. »Das ist ja seltsam. Genau dieses Gespräch habe ich gerade auch mit Beth geführt.«
Das war ein beängstigender Gedanke. Mit Beth Gold auf derselben Wellenlänge zu sein war etwas, das Mona nicht brauchte.
»Tatsächlich? Wie kommt das denn?«
David zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich schätze, wir werden alle ein bisschen melancholisch.«
Mona dachte kurz nach. Nein, Beth war keine Bedrohung für sie. Diese Frau spielte schon seit den Siebzigerjahren nicht mehr in Davids Liga.
Sie schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf, sodass David zum ersten Mal ihre Augen sehen konnte.
»Mona, ist alles okay mit dir? Du siehst aus, als hättest du … hast du etwa geweint?«
Sein Erstaunen überraschte sie nicht. Er hatte sie in ihrem ganzen Leben nur einmal weinen sehen, und das war an jenem Morgen 2004, als sie ihre Ehe für gescheitert erklärt hatten. Noch heute wurde ihr bei der Erinnerung schlecht.
Ihre rot geränderten Augen kamen allerdings nicht von
Weitere Kostenlose Bücher