Liebe auf Arabisch
aus dem Weg scheuchen, damit sich nur ja kein männlicher Blick auf mich legt. Insgeheim lache
ich über diese unglaubliche Zeitverschwendung. In Marokko ist diese Praxis – zum großen Bedauern meiner Großmutter – in Vergessenheit geraten, ich habe sie in unseren Städten nie beobachtet. Mir ist völlig schleierhaft, wozu sie gut sein soll: Was würde denn passieren, wenn mich der Blick eines Mannes träfe?
Sofort wird das Thema in unserer Runde aufgegriffen.
Ich: »Der Mann wird mich schon nicht mit Blicken ausziehen!«
Salma: »Und ob! Weißt du denn nicht, dass der Blick in unserer Religion eine zentrale Rolle spielt? Es ist eine Sünde, jemanden zu lange anzusehen.«
Soha: »Genau. Alle Gläubigen, egal ob Männer oder Frauen, sollen den Blick senken. Es ist ein Ausdruck der Vorsicht und des Respekts voreinander.«
Joumana: »Nun übertreibt mal nicht! Man kann sich sehr wohl, auch bei unterschiedlichem Geschlecht, ansehen, ohne respektlos oder begehrlich zu sein.«
Soha: »Du unterschätzt die Macht des Blickes, meine Liebe. Nicht umsonst heißt es ›sich mit Blicken verschlingen‹. Und ihr kennt das Gedicht: ›Erst angesehen, dann angefasst, und zum Schluss ein Kuss.‹ Alles beginnt mit einem einladenden Blick.«
Farah: »Es gibt Männer, die einen so intensiv anstarren, dass man meinen könnte, man würde schwanger davon!«
Salma: »Glaubt mir, wenn man mit Blicken Liebe machen könnte, wäre ich die Erste, die davon wüsste!«
Als wir Iqbal kommen sahen, schwiegen wir. Auch wenn die junge Frau ihrer Tante in ihrer unkonventionellen Art recht ähnlich war und von ihren platonischen Liebeleien erzählen durfte, hieß das noch lange nicht, dass erwachsene Frauen vor ihr über Sex reden würden.
Iqbal hatte sich – auf den ersten Blick! – in einen jungen
Mann verliebt, der im Haus gegenüber wohnte. Der junge Mann, wohl von einem Urinstinkt in Sachen Herzensangelegenheiten getrieben, wartete in den folgenden Tagen hinter seinem Fenster den Moment ab, in dem die Studentin daran vorbeikam. Den Körper unter der Abaja versteckt und begleitet von Joumanas Wächter, ging sie zum Unterricht. So ging es bis zu dem Morgen, an dem sie zu ihren Füßen einen Zettel fand. Dort stand seine E-Mail-Adresse.
Und so wurde eine weitere Liebesgeschichte im Netz gesponnen.
Durch die Zeit mit meinen Freundinnen wuchs nach und nach mein Wissen über die saudische Mentalität. Vor allem lernte ich, mich unauffällig zu verhalten, um nicht die Aufmerksamkeit der Mutawwa auf mich zu ziehen, jener religiöser Ordnungshüter, die für die Einhaltung von Moral und Ordnung in der Stadt sorgten.
Ich durfte weder das Wort an einen Mann richten, soviel wusste ich bereits, noch ihn berühren. Im Fahrstuhl achtete ich darauf, nur ja nicht den Blick zu heben oder einen Mann zu grüßen. Ein »Guten Tag« gilt als Anmache. Ein Lächeln, das heißt ganz große Geschütze auffahren, es ist eine klare und offenkundige Herausforderung. Eine Einladung zu akzeptieren ist gleichbedeutend mit einem Akt der Prostitution. Was sollte man da machen? Alles, so Farah, solange es niemand sieht. Die Straße gehört den Männern, der Rest der Welt gehört uns. Ich fand dieses Verhalten ein bisschen scheinheilig, doch Joumana merkte an, dass, selbst wenn man in Marokko nicht so tat, als sei man Weltmeister im moralischen Verhalten, sich eigentlich alle Muslime getreu dem Motto verhielten: »Erfülle deine Pflichten gegenüber Allah, und was den Rest angeht, hab Spaß, aber heimlich!«
»Dem kann ich nur zustimmen«, säuselte Farah mit einem Lachen im Gesicht. »Ihr solltet euch alle ein Beispiel an mir nehmen.«
Ich bewunderte Farahs Leichtigkeit, ihren Humor und ihren Lebenshunger, der nichts von ihrer traurigen Vergangenheit verriet. Mit dreizehn Jahren wurde Farah mit einem Mann verheiratet, der ihr Vater hätte sein können und bereits zwei Frauen hatte. Um dieser verhassten Verbindung zu entgehen, hatte sie wiederholt versucht, sich umzubringen. Jedes Mal landete sie im Krankenhaus, und jedes Mal sprach ihre Familie von »Medikamentenmissbrauch«. Nach der Hochzeit wurde sie von ihrem Ehemann in einen Flügel seines Palastes verfrachtet, wo er versuchte, sie gefügig zu machen. Mit allen Mitteln versuchte sie daraufhin, ihn zu ärgern, führte sich auf wie ein kleines Kind und nahm jedes Mal die Beine in die Hand, wenn er versuchte, sie ins Bett zu schubsen. Je älter sie wurde, desto mehr Personal forderte und bekam sie. Sie
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