Liebe auf Dauer
besteht sonst auch hier, dass alles andere, was erledigt werden muss, immer wieder wichtiger ist und somit einen höheren Stellenwert bekommt.
Damit meine ich konkret: Es ist keineswegs ein schlechtes Zeichen für die erotische Beziehung eines Paares, wenn auch dafür vom Paar regelmäßig und ausreichendZeiträume eingeplant werden. Das Bedürfnis nach Sexualität miteinander überwältigt in der Dauerbeziehung das Paar vielleicht nicht mehr. Aber wenn sie sich dafür genügend Zeit und einen geschützten Raum schaffen, können sie es sehr genießen und finden es sehr befriedigend. Es ist einfach ein Mythos, befriedigende Sexualität ausschließlich mit dem Reiz des Neuen und Unbekannten zu verknüpfen. Sicherlich übt das Neue, Andere, noch nicht Gekannte auch in der Sexualität seinen besonderen Reiz aus. Das heißt aber nicht, dass Sexualität in einer Dauerbeziehung und mit dem altbekannten Partner mit Notwendigkeit langweilig werden müsste. An die Stelle des Neuheitsreizes muss hier die liebevolle Pflege treten, und ein wesentlicher Teil davon ist, sich gesicherte (und das heißt oft ausdrücklich eingeplante), geschützte und ausreichende Zeit dafür zu nehmen (Jellouschek 2004, S. 81–92).
Es ist nicht so, dass nur das Überaschende, Neue und spontan Überwältigende intensive Sexualität ermöglichen würde. Ich höre immer wieder von Frauen, mehr und mehr aber auch von Männern, dass sie gerade die vertraute Atmosphäre, die Geborgenheit und Nähe zum Partner gebraucht haben, um Sexualität tiefer, umfassender und ganzheitlicher zu erleben. Auch sagen sie, dass es nötig war, eine längere Entwicklungszeit zu haben, um ihre sexuellen Möglichkeiten ganz zu entdecken und auszuschöpfen. Dass Sexualität nur bei immerwährender Abwechslung lebendig zu bleiben vermöchte, ist meiner Erfahrung nach schlichter Unsinn.
Freilich: Die Gewöhnung, die »Möbelstück-Vertrautheit«, von der wir gesprochen haben, ist tatsächlich ein Lust-Killer ersten Ranges. Wenn die Partner sich als alles mögliche sehen, als Arbeitsteam, als Familienorganisatoren, nur noch als Vater oder Mutter, nicht aber mehr als Mann und Frau, dann verlieren sie natürlich auch ihre sexuelle Attraktivität füreinander. Das heißt mit anderen Worten: Die Räume undZeiten für die Pflege der sexuellen Beziehung sind das eine. Das andere, das dazukommen muss, ist, dafür zu sorgen, dass die Partner einander ein lebendiges »Gegenüber« bleiben. Hier spielt die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit eine große Rolle. Partner, die nur noch »funktionieren«, sind in der Gefahr, sich als autonome Individuen zu verlieren. Es geht darum, Eigenständigkeit als Frau und Mann zu bewahren, auszuformen oder wiederzugewinnen; Eigenständigkeit im Sinn eines eigenen Profils mit eigenen Ansichten, ausgeprägten Interessen, eigenen, bewussten Lebenseinstellungen, eigenständigen Kontakten. Dadurch sorgt der Einzelne dafür, für den Partner »interessant« zu bleiben. Das kann dann die Sexualität auch mit ein und demselben Partner immer wieder neu inspirieren.
Einwände
Was hier vorgeschlagen wird, klingt allzu sehr nach Strategie und Planung. Wenn jetzt auch sogar die Sexualität noch geplant werden soll, wo bleibt da überhaupt noch ein wenig Spontaneität im Leben?
Ich habe überhaupt nichts gegen Spontaneität in der Beziehung. Auch in der Sexualität sollen sich Paare, wann und wie immer sie das wollen, ihrer spontanen Lust überlassen. Die Erfahrung zeigt allerdings: Wenn sie sich allein auf die Spontaneität verlassen, findet in dieser Hinsicht bald gar nichts mehr statt. Denn was sie dann spontan machen, ist meist Arbeiten, Pflichten erfüllen, Kinder versorgen und dergleichen mehr. Sich bewusst Räume für Intimität und Sexualität zu schaffen, das soll nicht Spontaneität verhindern, es soll eine Gegenstrategie gegen den alles verschlingenden Alltag sein.
Aus der Verhaltensbiologie wissen wir, dass sexuelle Lust »das Fremde« braucht. Familiäre Nähe bringt Vertrautheit,aber die Lust wird durch sie blockiert (Bischof 1991). Muss es also in einer länger dauernden vertrauten Beziehung nicht mit Notwendigkeit zum Verlust der sexuellen Lust kommen?
Mit einem Menschen mehr und mehr vertraut zu werden, heißt zugleich, ihn immer tiefer in seiner Individualität und besonderen Eigenart zu erfassen. Damit beginnt aber eine »never ending story«. Das ist der wesentliche Unterschied zu einem Tier, das man nach einiger Zeit »durch und
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