Liebe auf den ersten Klick
Stück die Straße hinunter machen sich die ersten Pendler auf den Weg zur U-Bahn.
O Gott, ich muss los. Heute findet doch das wichtige Meeting statt, bei dem ich nicht fehlen darf.
Ich gehe ins Schlafzimmer und zerre den Inhalt meines Kleiderschranks auf den Fußboden. Rob hat eine neue Freundin. Ich wollte dir nur sagen, dass ich jemanden zur Hochzeit mitbringe – das waren seine exakten Worte. Die Worte, die mich geradewegs in die Hölle katapultiert haben. Ich schlüpfe in ein schwarzes Kleid und kämpfe mit dem Reißverschluss. Ich fasse es nicht – die ganze Zeit habe ich herumgesessen und auf seinen Anruf gewartet, während er sich längst eine Neue angelacht hat. Hallo? Wir sind gerade mal einen Monat getrennt. Hat er mich denn überhaupt nicht vermisst? Hätte er nicht anrufen können? Nur ein einziges Mal? Ich knipse das Licht im Bad an und putze mir die Zähne.
Wahrscheinlich wacht er in dieser Sekunde neben ihr auf … in unserem Bett. Allein beim Gedanken daran packt mich die kalte Wut. Eilig spucke ich den Zahnpastaschaum aus, spüle nach und gehe erneut auf Wanderschaft.
Plötzlich erscheint mir alles in meiner Wohnung falsch und fremd und beängstigend. Ich will Rob. Ich will unser – okay, sein – schönes, schickes Zuhause wiederhaben. Und unsere morgendliche Routine. Inzwischen hat er sein Frühstück aus Obst und Reisflocken gegessen und ist zu seiner allmorgendlichen Joggingrunde aufgebrochen. Ich denke an sein altes blaues T-Shirt, an die Art, wie es beim Schwitzen an seiner Brust klebt. Danach geht er unter die Dusche – ich weiß sogar, in welcher Reihenfolge er sich wäscht: zuerst die Haare. Ich sehe förmlich vor mir, wie sich seine blonden Locken unterm Wasserstrahl dunkel färben. Ich liebe es, ihm zuzusehen, während ich mich fertig mache. Wir brechen immer gemeinsam zur Arbeit auf … falsch: Wir sind immer gemeinsam aufgebrochen . Ich erinnere mich an seinen flüchtigen Abschiedskuss auf die Wange. Wen küsst er wohl jetzt? Sie.
Ich gehe ins Schlafzimmer zurück und setze mich aufs Bett, um die Riemen meiner schwarzen Sandalen zu schließen. Ich habe dieses Bett erst vor einem Monat gekauft. Damals dachte ich, das Geld sei gut angelegt, weil Rob und ich ohnehin eines für unser Gästezimmer gebrauchen konnten. Lucy kam sogar vorbei und unterzog es einer Hüpfprobe.
»Denk nur an all die wilden Sexabenteuer, die du hier drin erleben wirst«, sagte sie.
»Du meinst, wenn Rob mich besuchen kommt?«
»Äh, nein, ich habe Abenteuer gesagt.«
»Aber unser Sex ist abenteuerlich«, schoss ich empört zurück.
»Wann? Das eine Mal, als du das Licht angelassen hast?«, gackerte sie, und ich schubste sie vom Bett.
Dieses elende Miststück. Seufzend bürste ich mir die Haare. Wie konnte ich nur so blöd sein? Hier herumzusitzen und mir einzubilden, er würde mich vermissen! Ich sehe vor mir, wie er eine Frau mit nach Hause nimmt, die Tür aufschließt und sie eintreten lässt. Ich sehe, wie sie die Wohnung bewundert, die ich eingerichtet habe, und sich in die Bettwäsche legt, die ich ausgesucht habe. Der Schmerz ist unerträglich. Er gehört mir. Er ist mein Verlobter, meine sichere Zukunft. Mein Leben. Ein anderes kenne ich nicht. Unsere Schicksale sind unauflösbar miteinander verwoben – das hat er selbst gesagt. Und jetzt ist er weg und hat sich kopfüber ins nächste Abenteuer gestürzt. Aber nicht ohne vorher diese Bombe in den Vorgarten meines Selbstwertgefühls zu werfen.
O Gott, ich kriege eine Panikattacke. Ich zwinge mich, ganz langsam durchzuatmen, während ich die getönte Tagescreme aus meinem Schminktäschchen krame. Ich trage Wimperntusche und Lippenstift auf, aber mein Gesicht ist vom Weinen so verquollen, dass es nicht viel nützt.
Was ist mit Bob und Marie, seinen Eltern? Die beiden mochten mich doch so gern. Marie schenkt mir jedes Jahr neue Hausschuhe zu Weihnachten. Heißt das, ich werde nie wieder in ihrem Wintergarten sitzen und Wein aus ihren kristallenen Sonntagsgläsern trinken? Und was ist mit den Golfstunden, die Bob mir versprochen hat? Was ist, wenn Marie die Hausschuhe für dieses Weihnachten schon besorgt hat? Ich gehe ins Wohnzimmer zurück. Wann werde ich die beiden wiedersehen? Ich habe sie bereits als Großeltern meiner Kinder gesehen – freundlich und liebevoll, mit grauen Haaren und Brille, wie aus dem Märchenbuch. Sie waren das einzig Normale, eine echte Konstante in meinem Leben. Und jetzt sind auch sie weg. Ich ertrage das nicht. Ich
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