Liebe auf den letzten Blick
Endlich!«
Eilig huscht sie davon, als erwarte sie einen Geldboten.
»Gustl, hast du Amelie eigentlich zu ihrem Gespräch bei der Bank begleitet?«, frage ich, um vielleicht von ihm eine brauchbare Auskunft zu bekommen.
»Nein, ich habe im Auto gewartet …«, antwortet er, als es in seiner Hosentasche klingelt. »Entschuldige.« Er angelt nach seinem Handy, das er sich extra angeschafft hat, um für seine Tochter ständig erreichbar zu sein. »Dana«, erklärt er nach einem Blick aufs Display. »Bin gleich wieder da.« Damit verschwindet er.
Gustl ist kaum draußen, da kommt Amelie zurück, begleitet von einem verschwitzten, korpulenten Mann mit weit zurückgewichenem Haaransatz und randloser Brille auf der Knubbelnase. Zu grauen Hosen trägt er ein braun-grün gemustertes Sakko mit Lederflecken am Ärmel. Dazu ein kleinkariertes Hemd und eine wappengeschmückte dunkelgrüne Krawatte. Unter seinem Arm klemmt eine braune Ledermappe.
Ich habe keinen Schimmer, wer der Brillenheini ist, tippe aber auf verarmten Landadeligen, der Hausratsversicherungen verkaufen muss, um sich die tägliche Leberkäsesemmel leisten zu können.
»Karl-Heinrich Brettschneider«, stellt Amelie mir den Unbekannten vor. »Meine Freundin, Mathilde Opitz.«
Brettschneider streckt mir die Hand entgegen. »Tut mir leid, ich bin geflogen, habe es aber dennoch nicht ohne Verspätung geschafft.«
»Unfassbar!«, entfährt es mir beim Händeschütteln.
Brettschneider guckt konsterniert. »Wie bitte?«
»Ähm … ich meine … Unfassbar, dass Sie Ihre Kunden zu Hause besuchen«, stottere ich.
»Nun ja«, näselt Brettschneider vornehm. »In diesem besonderen Fall, und weil es Amelie so eilig …«
»Aber bitte«, unterbricht Amelie ihn. »Nimm doch ersteinmal Platz, Karl-Heinrich. Ein Schlückchen Prosecco? Ist gut für den Kreislauf.«
Mir klappt der Mund auf. Du, Amelie, du, Karl-Heinrich? Hat sie den Bankenmops mit einer Stripeinlage becirct? Musste Gustl deshalb im Auto warten?
Karl-Heinrich räuspert sich. »Eine Frage vorweg: Wie oft desinfiziert ihr euer Geschirr?«
Haben wir es hier mit einem Hypochonder oder einem Kavalier alter Baumschule zu tun?
Amelie lacht nur und antwortet: »Wöchentlich, Karl-Heinrich, wöchentlich.«
Worauf Karl-Heinrich die Einladung mit einem schiefen Grinsen annimmt. »Ein Schlückchen in Ehren kann niemand verwehren.« Er setzt sich und platziert die Ledermappe vor sich auf dem Tisch.
»Meine Rede«, kichert Amelie, wuselt zum Küchenschrank und entnimmt ein frisches Glas. »Vielen Dank noch mal, Karl-Heinrich, dass du dich persönlich herbemüht hast«, säuselt sie beim Einschenken. »Mathilde, möchtest du vielleicht jetzt doch?«
»Nein, danke.« Mir schwant nichts Gutes, da ist es schlauer, nüchtern und auf der Hut zu bleiben.
Karl-Heinrich läuft rot an und greift sich mit dem Zeigefinger in den Kragen, als bekäme er kaum Luft. »Nun, dein Bericht über eure WG hat meine Neugier geweckt. Zufällig habe ich erst unlängst einen Artikel über diese alternative Form des Wohnens gelesen. Wirklich sehr interessant.«
Amelie neigt ihren Kopf, während sie ihm zuprostet. »Auf dein Wohl, Karl-Heinrich!«
»Unsere Wohngemeinschaft ist also ein besonderer Fall für Sie, Herr Brettschneider?«, nehme ich das Thema wieder auf.
»Wie soll ich sagen?«, windet sich Brettschneider. »Eswäre eine Alternative, ja, durchaus. Aber bevor ich mir nicht einen Eindruck verschafft habe, kann ich keine Zusagen abgeben. Sie werden das verstehen, Frau Opitz.«
Zusagen – im Plural? Wie viele Kredite hat Amelie denn beantragt? Und was bitte schön hat die WG damit zu tun? Langsam finde ich Brettschneiders Besuch höchst mysteriös. Und sein umständliches Geschwafel nervt.
»Dann würde ich vorschlagen, Herr Brettschneider, Sie legen die Karten offen auf den Tisch«, gehe ich in die Offensive.
»Mathilde hält nichts von Smalltalk.« Amelie scheint sich genötigt zu fühlen, meine Aufforderung abzumildern.
Gelassen zucke ich die Schultern. »Das spart eine Menge Zeit. Und die hat doch keiner, oder? Nicht in unserem Alter.«
Brettschneider nickt und erhebt sich. »Dann lassen Sie uns doch gleich mit der Schlossführung anfangen.«
»Schlossführung?«, wiederhole ich überrascht.
Amelie zwinkert verschwörerisch hinter Brettschneiders Rücken und zischt mir etwas zu, das ich jedoch nicht verstehe. Scheint, als würde ich demnächst mit einem Knopf im Ohr herumlaufen müssen, damit ich alles mitbekomme.
Weitere Kostenlose Bücher