Liebe auf den letzten Blick
schaffen. »Welche Teesorte?«
»Schwarzen, bitte«, antwortet Dana. »Ich muss wach werden.«
Kurz darauf serviert Gustl eine Kanne schwarzen Tee und stellt ein paar Kekse dazu. »Bis zum Abendessen dauert es noch eine Weile.«
Dana schiebt den Keksteller zur Seite. »Danke, Papa, aber ich hab echt keinen Appetit.«
Gustl stemmt die Fäuste in die Hüften. »Na gut, aber bei den Nudeln isst du nachher mit. Es gibt hausgemachte. Du bist …« Er stockt, wohl um sie nicht zu verletzen. »Ich meine, du musst doch hungrig sein, im Zug hast du auch nichts gegessen.«
»Dein Vater ist ein fantastischer Koch«, meldet sich Moritz zu Wort. »Ich habe seine Kochkunst schon zu schätzen gelernt.«
»Ich weiß, er kocht göttlich.« Dana lächelt Moritz an. »Aber wenn man nicht aufpasst, wird man dabei kugelrund.«
Mir fallen Amelies üppige Hüften ein, und ich muss ein Kichern unterdrücken. Auf Moritz’ Gesicht erscheint ein Strahlen – sicher nicht wegen Amelie.
Tja, hier handelt es sich eindeutig um einen Fall von Liebeauf den ersten Blick, stelle ich insgeheim fest. Aber soweit ich es beurteilen kann, gilt das zunächst einmal nur für Moritz.
Der arme Junge. Mitfühlend beobachte ich ihn möglichst unauffällig. Er hat ja keine Ahnung, dass er das schöne Mädchen vergebens anschmachtet. Hoffentlich kommt er schnell wieder zur Besinnung. Dana hat sicher für die nächste Zeit die Nase gestrichen voll von Männern und Beziehungen. Niemand versteht sie besser als ich.
Ein Handyklingeln durchbricht die eingetretene Stille.
»Oh, das ist meins«, sagt Moritz, angelt das Telefon aus seiner Hosentasche und entschuldigt sich.
»Er scheint nett zu sein«, bemerkt Dana, als er die Tür hinter sich zugezogen hat.
»Das ist er«, bestätige ich, und frage mich, ob Moritz vielleicht doch eine Chance hat.
Ein paar Minuten später kommt er wieder zurück.
»Kann ich bei irgendwas helfen?«, fragt er Gustl. »Zwiebelschneiden oder so?«
»Hilfsbereit ist er auch«, flüstere ich Dana ins Ohr.
Gustl bedankt sich für das Angebot und nimmt eine Packung Mehl aus dem Schrank. »Schon mal Nudelteig geknetet, Moritz?«
»Nö«, antwortet er und blickt Dana an. »Aber ich weiß, was Frauen glücklich macht – eine doppelte Portion Pasta.«
Dana und ich grinsen uns an.
»Huhuuu!«, ertönt es in dem Moment aus dem Flur.
»Amelie«, erkläre ich Dana.
Sie nickt, als ob sie über das Verhältnis Bescheid weiß. »Papa versteht sich wohl ganz gut mit ihr.«
»Sogar
sehr
gut«, bekräftige ich und überlege, ob ich noch deutlicher werden soll, als die Tür auffliegt.
Amelie, gehüllt in ein bodenlanges nachtschwarzes Gewandund mit schwarzer Sonnenbrille auf der Nase, betritt die Küche. Gefolgt von Fred.
»Hallo zusammen.« Sie schiebt die Brille ins Haar, blickt kurz in die Runde, erspäht Gustl an der Arbeitsfläche und stürmt mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. »Gustilein!« Sie fällt ihm um den Hals, küsst ihn und überschüttet ihn gleichzeitig mit Fragen. »Seit wann bist du denn zurück? Warum hast du denn nicht angerufen? Ich hätte dich doch vom Bahnhof abgeholt.«
Überrumpelt von der unerwarteten Liebesinvasion, rutscht Gustl die volle Mehltüte aus der Hand. Mit dumpfem Knall fällt die Packung auf den Fußboden, zerplatzt und hüllt das Liebespärchen in eine mächtige Staubwolke. Ziemlich lustig, finde ich, und für einen Koch irgendwie romantisch.
Keiner kann das Lachen zurückhalten, alle prusten los. Selbst Dana kichert und sieht mit einem Mal nicht mehr ganz so unglücklich aus. Moritz fängt sich zuerst, schnappt sich Kehrschaufel und Besen und macht sich daran, das Malheur zu beseitigen.
»’tschuldigung«, meldet sich Fred zu Wort, der immer noch in der Tür steht, bepackt mit unzähligen Tüten. »Wohin damit?« Unschlüssig hebt er die Einkaufstüten leicht an. »Ich muss nämlich …«
Amelie lässt von Gustl ab. »Einfach fallen lassen«, kichert sie und nimmt nun auch Dana wahr. »Und wen haben wir da?«
»Meine Tochter Dana«, antwortet Gustl und sieht die veränderte Amelie ungläubig an. »Du siehst … irgendwie komisch aus«, stellt er dann zögernd fest.
Sie wedelt beiläufig mit der Hand. »Erkläre ich dir gleich. Aber ich freue mich, dass du deine Tochter mitgebracht hast.«
»Sie wird ein paar Tage bleiben«, erklärt Gustl ihr. »Alle sind einverstanden, ich hoffe, du auch?«
Amelie stutzt eine Zehntelsekunde. Der steilen Falte auf ihrer Stirn nach zu urteilen,
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