Liebe auf den letzten Blick
nehme mir ein Glas Wasser und setze mich an den Tisch. »Was zauberst du uns heute Feines?«, frage ich Gustl in harmlosem Plauderton.
»Selbstgemachte Pasta. Dana isst so gern Nudeln.« Er wendet sich mir zu, und ich erkenne tiefe Sorgenfurchen auf seiner Stirn. »Das Kind ist schrecklich dünn geworden. Sie sieht geradezu magersüchtig aus. Ich muss sie dringend aufpäppeln. Übrigens, Mathilde …« Er stockt, geht zum Kühlschrank und hantiert mit einem Bund Karotten.
»Ja?«
»Also … wegen Dana …« Er sucht nach Worten.
»Was immer es ist, Gustl, auf meine Unterstützung kannst du zählen«, versichere ich ihn deshalb vorab. »Ich hoffe, dass du das weißt. Nur raus damit, was bedrückt dich?«
Er atmet auf. »Danke, Mathilde. Also Dana hat große Probleme mit ihrem Freund«, beginnt er.
»Männer machen doch nur Ärger«, entfährt es mir unbeherrscht, was ich im selben Augenblick bedauere. Gustl kann schließlich auch nichts für meine desolate Gefühlslage. »Ähm … Tut mir leid, Gustl, natürlich nicht alle und du sowieso nicht.«
Ein Lächeln huscht über sein rundes Gesicht. »Schon klar. Also, Dana hat sich seit geraumer Zeit heftig mit ihrem Freund gestritten, weil sie ihn verdächtigt hat fremdzugehen. Leider hat sich ihr Verdacht jetzt bestätigt.«
»Das arme Mädchen.«
»Es kommt noch schlimmer.« Gustl schnauft. »Sie hat ihn in der gemeinsamen Wohnung in flagranti erwischt und …«
»Ach du Scheiße« ist alles, was mir dazu einfällt.
Gustls Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, als er das Karottengrün mit festem Griff abdreht. »
Scheißkerl
trifft es genauer.«
»Kein Wunder, dass sie geflüchtet ist«, sage ich voller Verständnis. »In so einem Fall würde ich auch sofort die Stadt verlassen.«
»Ich wusste, dass du Verständnis haben würdest. Ist es in Ordnung, wenn Dana ein paar Tage hier bleibt? Sie muss erst einmal zu sich kommen und über alles gründlich nachdenken.«
»Selbstverständlich«, versichere ich. »Du brauchst nicht zu fragen. Dana ist schließlich mein Patenkind und immer willkommen. Ich bin mir sicher, dass das auch für die anderen gilt.«
»WG-Konferenz?« Moritz betritt im richtigen Moment den Raum. Er hat sich umgezogen, ist frisch rasiert, und sein Haar klebt noch nass am Kopf.
»Setz dich zu uns«, fordere ich ihn auf. »Und bring dir ein Glas mit.«
»Worum geht’s?«, fragt Moritz, als er neben mir Platz genommen hat und sich Wasser eingießt.
»Meine Tochter wird ein paar Tage hier wohnen«, gibt Gustl Auskunft. »Ich hoffe, du bist einverstanden.«
»Kommt drauf an, wie alt?« Moritz grinst.
»Zwanzig«, antwortet Gustl und sieht Moritz warnend an. »Aber hüte dich«, fügt er hinzu. »Sie hat viel …«
»Redet ihr über mich?« Eine helle Stimme lässt uns aufblicken.
Durch die Tür tritt ein sehr schlankes Mädchen, das ich zuletzt auf Susannes Beerdigung gesehen habe und kaum wiedererkenne. Ihre langen Beine stecken in abgeschnittenen Jeans, zu denen sie ein schwarzes, viel zu weites Schlabbershirt trägt. Das lange rötlich-blonde Haar fällt zersaust über die zerbrechlichen Schultern. Und in ihren fein geschnittenen Gesichtszügen erkenne ich ihre Mutter wieder, die ebenso helle Haut, grüne Augen und volle Lippen hatte.
»Hallo Dana«, begrüße ich sie. »Gut geschlafen?« Eine Welle mütterlicher Fürsorge überrollt mich. Am liebsten möchte ich dieses arme betrogene Mädchen in eine warme Decke wickeln und trösten.
Gustl geht zu ihr, nimmt sie in den Arm und fragt besorgt: »Alles in Ordnung?«
Dana reibt sich stumm die Augen, schaut sich um und nickt. Tapfer versucht sie zu lächeln.
Wie ich erst jetzt bemerke, starrt Moritz sie mit offenem Mund an. Hat da etwa der Blitz eingeschlagen?
»Hallo«, sagt sie schließlich und zu Gustl gewandt: »Papa, kann ich mir einen Tee kochen?«
»Ich mach das schon.« Er schiebt seine Tochter Richtung Tisch. »Setz dich. Oder willst du dir erst etwas überziehen?« Er blickt auf ihre nackten Füße.
Dana schüttelt den Kopf. »Mir ist nicht kalt«, antwortet sie und lässt sich neben Moritz auf die Bank plumpsen. »Ich bin Dana.«
»Hallo … Ich … äh … bin Moritz … studiere Architektur und wohne auch hier«, stammelt er.
»Mein Vater hat mir bereits von all seinen Mitbewohnern erzählt«, sagt sie. »Ich studiere auch Architektur.«
»Echt?« Moritz’ Augen funkeln, als habe er das große Los gezogen.
Inzwischen macht sich Gustl an den Küchenschränken zu
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