Liebe auf den letzten Blick
Neuigkeiten von Amelie gibt.
»Hat sie etwa Gustl einen Heiratsantrag gemacht?«, fragt Irma. »Auf unserer Verlobungsfeier hat sie so etwas angedeutet.«
»Nein, noch kein Brilli am Finger in Sicht«, antworte ich. »Aber sie ist auf einem neuen Selbstverwirklichungstrip.«
»Sag bloß! Schmeißt sie endlich die Hippiefetzen weg?«, fragt Irma lachend.
»Gut geraten, aber noch nicht ganz ins Schwarze getroffen. Auch wenn sie jetzt nur noch Schwarz tragen will: Unser esoterischer Glückskeks ist unter die Wahrsager gegangen«, lüfte ich das Geheimnis.
»Nein!«
»Doch, doch. Nennt sich Madame Minerva und glaubt, die Lizenz zum Gelddrucken gefunden zu haben.«
»Minerva?« Irma prustet los. »Fehlt nur noch, dass sie ein Gummibärchen-Orakel erfindet.«
Wir amüsieren uns noch eine Weile über unsere umtriebige Freundin, bis Irma mir zum Abschied »Au revoir, ma Chère« durch den Apparat haucht.
Ich antworte mit einem »Servus Schatzi« und drücke auf die rote Taste.
Nach den aufmunternden Nachrichten von der Côte d’Azur steige ich in besserer Stimmung aus dem Bett. Draußen scheint die Sonne, und laut Wetterbericht soll es sommerlich heiß werden. So übel scheint der Tag also nicht zu werden.
Auf dem Flur begegnet mir eine barfüßige Amelie, die zu sofrüher Stunde noch privat, also bunt gekleidet unterwegs ist. Sie trägt einen geblümten, extrem knapp sitzenden Badeanzug, aus dem ihr üppiger Busen beinahe raushüpft. Ihre prallen Hüften umschlingt ein farblich passender Pareo, die blonden Locken sind mit einer rosaroten Hibiskusblüte aus Stoff geschmückt, und ihr Gesicht glänzt wie eingeölt.
»Alohaaa!«, grüßt sie vergnügt und tänzelt im Wiegeschritt an mir vorbei Richtung Küche.
Einen Moment bin ich sprachlos, dann rufe ich: »Hawaiianische Liebesspielchen?«
Bevor sie in der Küche verschwindet, dreht sie sich um, wackelt wie eine Hulatänzerin mit den Hüften und trällert: »Partymond!«
Ich stoppe meinen Weg ins Bad. »Wer?«
»Es brennt der Flokati, wir feiern eine Party«, antwortet sie und huscht in die Küche.
Neugierig geworden erledige ich meine Morgentoilette im Schnelldurchgang. Anschließend schlüpfe ich in den sündhaft teuren, aber wunderbar schlankmachenden Body, der locker fünf Kilo wegschummelt. Als ich auf die Waage steige, kann ich kaum glauben, was sie anzeigt. Ein Kilo weniger! Mein Verzicht auf Portwein und Pralinés zeigt also Wirkung. Euphorisch ziehe ich ein ärmelloses schwarzweißes Sommerkleid über meine Sündendessous und steige in ein Paar schwarze Zehensandalen. Fertig ist mein Sommer-Samstags-Outfit.
In der Küche duftet es herrlich nach Kaffee. Gustl macht sich am Kühlschrank zu schaffen, »Minerva« wäscht Radieschen am Spülbecken. Dana, die noch mit Strubbelhaaren im türkis-weiß-getupften Schlafanzug steckt, stellt Geschirr und Besteck für fünf Personen auf ein Tablett. Moritz, in knielangen bunten Bermudashorts, schwarzem Trägershirt und Strohhut, greift sich die beiden Küchenstühle.
»Morgen, Mädel«, begrüßt er mich. »Wir frühstücken auf der Terrasse. Es fehlt noch ein Stuhl. Darf ich den Freischwinger aus deinem Zimmer holen?«
»Na klar«, nicke ich und blinzle zufrieden in die Morgensonne.
Wir haben immer noch keine Liegestühle, aber zumindest einen großen runden Gartentisch. Für die passenden Stühle hat das Geld leider nicht mehr gereicht, und so sammeln wir einfach sämtliche Stühle aus den Zimmern ein und tragen sie nach draußen. Das durcheinandergewürfelte Erscheinungsbild unserer Frühstückstafel steht zwar in Konflikt mit meinem ästhetischen Empfinden, doch Amelie tröstet mich mit dem Hinweis, dass uns niemand bei der »Einrichtungspolizei« verpetzen würde.
Vor unserem Einzug hatte ich keine genaue Vorstellung, wie das WG-Leben sein würde – und ob ich mich wohl damit würde arrangieren können. Wenn ich mir die bunt gemischte Truppe auf der Terrasse jetzt so ansehe, wird mir geradezu warm ums Herz. Es ist zwar alles anders gekommen als geplant, aber unser Zusammenleben ist chaotisch und lustig – und wunderbar. Na ja, bis auf das nächtliche Gestöhne. Und die morgendliche Musik.
Im Moment freue ich mich aber auf das Frühstück mit meinem ältesten Freund Gustl, meiner durchgeknallten Freundin, die im Hawaiidress durch die Wohnung swingt, und unseren zwei entzückenden Ersatzkindern. Wer braucht da noch einen Liebhaber? Schon ärgere ich mich, dass sich der Kunstlehrer wieder in meine
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