Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
Cousin?«, fragte sie unschlüssig.
»Reginald Greville«, erklärte er. »Ich werde ihn bitten, dass er Sie zu einer Kutschfahrt abholt. Ihre Stiefmutter wird bestimmt nichts dagegen einzuwenden haben. Dann treffe ich euch beide im Park.«
Clarissa krauste die Stirn. Ach du grünes Radieschen, ausgerechnet Greville! »Wenig wahrscheinlich, dass er sich dazu breitschlagen lässt«, rutschte es ihr heraus. »Wir haben uns vor einiger Zeit kennengelernt. Seitdem macht er einen Riesenbogen um mich, wenn er mich sieht.«
Adrian schmunzelte. »Er hat mir von Ihrem gemeinsamen Dinner erzählt.«
»Oh nein«, stöhnte sie, peinlich berührt. Sie selber hatte es nicht mal gemerkt, aber Lydia hatte ihr nachher in epischer Breite verklickert, dass sie Grevilles Beine mit einem Tisch verwechselt und eine Tasse heißen Tee darauf abgestellt habe. Sie hatte schwer gehofft, Adrian würde die Geschichte nicht erfahren. Es war demütigend für Clarissa … wie so ziemlich alles in London.
»Doch, hat er. Aber keine Sorge, ich habe Reginald über Ihre missliche Situation aufgeklärt. Er ist bestimmt gern bereit, uns zu helfen.«
»Mag sein«, murmelte die junge Frau zweifelnd. Sie nagte an ihrer Unterlippe und heftete den Blick auf die weich verschatteten Konturen, die sein Gesicht darstellten. »Er ist aber kein Frauenheld, oder?« Als Adrian nicht antwortete, schob Clarissa nach: »Weil … wissen Sie, das ist der Grund, weshalb Lydia Sie nicht leiden kann. Sie meinte, Sie wären früher ein Frauenheld gewesen. Obwohl ich mir ganz sicher bin, dass sie sich irrt. Aber bloß mal angenommen, er wäre tatsächlich ein Frauenheld …«
Adrian erstarrte und schwieg für einen langen Augenblick. Clarissa wähnte ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt, als ihr Begleiter sich unversehens entspannte. »Machen Sie sich da mal keinen Kopf. Da kann ich Sie beruhigen.«
Clarissa wollte ihm so gern glauben, indes blieb sie skeptisch. War es möglich, dass ihr Leben endlich eine Wendung zum Positiven nahm? Sie hatte in den letzten zehn Jahren wahrhaftig wenig zu lachen gehabt. Sie dachte an ihre schwerkranke Mutter und an das Debakel mit Captain Fielding …
Und nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater noch in der Trauerzeit diese unsägliche Lydia geheiratet. Das Leben auf dem Land war die reinste Hölle gewesen, zumal ihre Stiefmutter es nicht lassen konnte, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit an die Schmach und Schande zu erinnern, die sie angeblich über ihre Familie gebracht hatte. Mit dieser skandalösen Geschichte, behauptete Lydia, hätte sie ihre Mutter ins Grab gebracht.
Lydia gab ihr auch die Schuld daran, dass Clarissas Vater London mied. Leider hatte Lydia in diesem Punkt recht. Lord Crambray hatte die Stadt gemieden, in der Hoffnung, dass der Skandal mit der Zeit in Vergessenheit geraten würde und seine Tochter trotzdem eine gute Partie machen könnte. Lydia konnte Clarissa schon deswegen nicht ausstehen, weil sie ihretwegen etliche Londoner Saisonbälle verpasst hatte, und sie machte keinen Hehl aus der Tatsache, dass ihr das Mädchen ein Klotz am Bein war.
Clarissa mutmaßte sogar, dass sie deswegen keine Brille tragen durfte, weil Lydia ihr eins auswischen wollte. Die Frau hasste sie und freute sich heimlich über ihre Missgeschicke. Das gab ihr wenigstens einen Vorwand, das Mädchen zu kritisieren und zu bestrafen. Zudem hätte ihre Stiefmutter sie liebend gern mit dem ekelhaften Prudhomme verkuppelt, denn sie wusste vermutlich genau, dass Clarissa den ältlichen kleinen Gnom verabscheute wie der Teufel das Weihwasser. Das Mädchen merkte schon seit geraumer Weile, dass die beiden fabelhaft miteinander auskamen. Es würde sie gar nicht wundern, wenn der alte Sack auch ihrer Stiefmutter bei der einen oder anderen Gelegenheit ewige Liebe geschworen und die gute Gesundheit ihres Vaters verflucht hätte, so wie sie es bei den beiden anderen Damen aufgeschnappt hatte. Womöglich ging der heiße Henry auch unter Lydias Röcken auf Tauchstation.
»Clarissa? Claaariiissaaa!«
Lydias schrille Stimme jagte ihr einen frostigen Schauer über den Rücken. Als sie den Mund öffnete, um Mowbray Lebewohl zu sagen, machte Adrian leise Pssst, und sie gewahrte, wie sein Schatten mit der Hecke verschmolz, die den Weg säumte.
»Sie hat mich noch nicht gesehen. Am besten erwähnst du mich gar nicht. Erzähl ihr, du wärst nach draußen gegangen, um frische Luft zu schnappen.«
»Ja«, flüsterte Clarissa mit angehaltenem
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