Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
öffnete die Tür. Sie stürmte in die Halle und die Treppen hinauf. Kurz vor ihrem Zimmer holte Lydia sie ein.
»Clarissa«, zischte sie. Sie nahm ihren Arm in einen schmerzhaften Klammergriff und drückte die Klinke hinunter.
Clarissa, die sich leise seufzend zu ihrer Stiefmutter umdrehte, wartete schweigend auf die nächste Standpauke.
»Ich möchte nie wieder an diese Geschichte erinnert werden«, erklärte Lydia mit Nachdruck. »Und dass das klar ist, du wirst Lord Mowbray nicht wiedersehen. Wie konntest du zulassen, dass er dich …« Lydia schnappte entrüstet nach Luft, ehe sie Clarissa vernichtend anfunkelte. »Wenn dieser Mann dich entehren würde, oh nein, das würde dein Vater mir niemals verzeihen. Und Prudhomme ist in diesem Haus ebenfalls nicht mehr willkommen. Dir den Hof machen, während er …« Ihr versagte die Stimme, und Clarissa sah darin ihren Verdacht bestätigt, dass auch Lydia den Reizen seiner Lordschaft verfallen war. Falls er nicht längst eine Affäre mit ihr hatte, dann arbeitete er sicher fleißig daran. Lydia machte ihr ganz den Eindruck, als wäre sie tödlich gekränkt.
Nicht lange, und ihre Stiefmutter ließ sie los und verschwand in ihrem eigenen Zimmer.
Als die Tür krachend zuschlug, atmete Clarissa hörbar auf. Sie glitt in ihr Schlafzimmer und erschrak, als eine Gestalt hinter dem Paravent auftauchte.
»Verzeihen Sie, Mylady«, stammelte Joan, ihre Zofe. »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich hab in Ihrem Zimmer auf Sie gewartet, weil ich Ihnen nach der Rückkehr beim Entkleiden helfen wollte.«
»Schon gut, Joan«, sagte Clarissa ruhig und schloss die Tür hinter sich. Die leise, zurückhaltende Art des Mädchens war gewöhnungsbedürftig. Ihre alte Zofe war wesentlich energischer aufgetreten, vermutlich wegen ihrer langjährigen Erfahrung.
Während Joan ihr beim Auskleiden half, spürte Clarissa die Nervosität, die von dem Mädchen ausging. Schließlich stellte sie ihre Zofe zur Rede: »Was ist denn los, Joan. Ich hab das Gefühl, du möchtest mir etwas sagen, aber …«
»Verzeihen Sie, Mylady«, murmelte Joan, dann platzte sie heraus: »Ihr schönes Kleid ist ganz zerknautscht, Sie haben eine feuerrote Wange, als hätten Sie eine Ohrfeige bekommen, und Ihre Lippen sind leicht geschwollen, als wären Sie geküsst worden. Außerdem hab ich mitbekommen, was Lady Crambray über Lord Mowbray gesagt hat. Anscheinend ist zwischen Ihnen beiden etwas gewesen. Mylady, er … ähm … die Leute munkeln, dass sein Herz genauso schlimm vernarbt ist wie sein Gesicht und dass er …« Sie verstummte abrupt, denn Clarissa strafte sie mit einem harten Blick. »Ich mach mir einfach Sorgen um Sie, Mylady. Sie sind lieb und nett und gutherzig, aber – meiner Meinung nach – ein bisschen zu naiv. Ich will nicht, dass er Sie ausnutzt.«
Clarissa kochte innerlich vor Zorn. Adrian war die Nettigkeit und Rücksichtnahme in Person. Er hörte ihr zu, merkte sich, was sie gern mochte, und versuchte ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Sie hatte nie das Gefühl, dass er sie ausnutzen wollte.
Es lag ihr auf der Zunge, Joan anzupflaumen, sie solle sich um ihren eigenen Kram kümmern, sie schluckte ihre ärgerliche Bemerkung jedoch hinunter. Nein, Adrian war es wert, dass sie ihn verteidigte. Außerdem brauchte sie dringend jemanden, der auf ihrer Seite stand. Folglich beschloss sie, ihre Zofe in alles einzuweihen.
Als Joan ihr am Frisiertisch die Haare ausbürstete, atmete Clarissa einmal tief durch. Dann berichtete sie ihr haarklein alles, von dem Abend, als sie Adrian kennengelernt hatte, bis zu dem Streit mit Lydia, den Joan teilweise mitbekommen hatte. Als sie geendet hatte, wartete sie gespannt.
»Das hört sich an, als wäre er ein ganz wundervoller Mensch«, sagte Joan leise staunend. »Anders als die Klatschgeschichten, die die Leute sonst so verbreiten.«
»Er ist wundervoll.« Clarissa blinzelte die Tränen fort, die in ihren Augen schwammen. Es mochte albern klingen, aber sie war richtig dankbar, dass ihre Zofe positiv über Adrian dachte. Und dass sie ihre Gefühle für dieses Musterexemplar von Mann verstehen konnte.
»Hmm«, meinte Joan und legte die Bürste beiseite. »Ich finde, Sie sollten sich weiter mit ihm treffen. Wenn er Sie wieder zu einem Picknick einlädt, genießen Sie die Zeit mit ihm.«
»Findest du das wirklich?«, fragte Clarissa.
»Na klar«, betonte das Mädchen, und dann: »Mylady, ich hab Sie in der ganzen Zeit, in der ich bei Ihnen bin, noch nie so
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