Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
die Schultern, wühlte sich durch die Mäntel und öffnete die Tür des alkovenartigen Schranks. Als er hinaustrat, rechnete er halb damit, dass eine behandschuhte Hand ausholen und ihm tüchtig eine scheuern könnte. Womöglich würde er auch zum Duell im Morgengrauen herausgefordert, mit Pistole oder Degen. Falsch getippt. John Crambray stand an die gegenüberliegende Wand gelehnt und wirkte ziemlich belustigt.
Adrian zauberte ein schuldbewusstes Lächeln auf sein Gesicht. »Ich bitte vielmals um Verzeihung«, grummelte er. »Aber Clarissa dachte, dass ich sie bloß heiraten will, um einen Skandal zu vermeiden, und da wollte ich sie vom Gegenteil überzeugen, Skandal hin oder her.«
»Das wolltest du?« Clarissa wirkte sichtlich baff. Sie war hinter ihm aus dem Schrank geklettert.
Bevor Adrian antworten konnte, fiel ihm Clarissas verräterisch zerknittertes Kleid auf. Er begann, hektisch an ihr herumzuzupfen. John Crambray half ihm, indem er sich um die Frisur seiner Tochter kümmerte, die ziemlich zerwühlt aussah.
»Genau, du hast es erfasst«, bekräftigte Adrian. »Was meinst du, wozu ich dich sonst in den Schrank gezerrt hab?«
»Um mich zu küssen«, sagte Clarissa schlagfertig, worauf Adrian einen skeptischen Blick zu Lord Crambray schickte. Doch der lachte bloß darüber.
»Ja, Clarissa«, seufzte Adrian. »Ich hab dich geküsst, um dir zu beweisen, dass ich dich begehre und keine andere will. Um dich davon zu überzeugen, dass es mir ernst ist.«
»Oh.« Sie musterte ihn forschend. »Und warum hast du es mir nicht einfach gesagt, Mylord?«
Um John Crambrays Mundwinkel zuckte es amüsiert. »Weil Männer anders gestrickt sind als Frauen, Kleines. Frauen reden, Männer handeln. Das ist nun mal so.«
»Mhm, verstehe«, murmelte Clarissa, die allmählich gar nichts mehr verstand.
Adrian trat seufzend einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk. Ihr Kleid war wieder in Ordnung, aber ihr Vater schien Schwierigkeiten mit Clarissas Haaren zu haben. Ihre Frisur sah aus, als wäre sie damit in einen Wirbelsturm geraten.
Lord Crambray resignierte seufzend. »Weißt du, was man da machen kann?«
»Nee.« Adrian zog eine Grimasse. Dann strahlte er plötzlich übers ganze Gesicht. »Aber meine Mutter. Wartet hier, ich hol sie schnell.«
John nickte zustimmend. Er unterhielt sich mit Clarissa, und Adrian schob ab. Er klärte seine Mutter, die immer noch mit Lady Lydia und Mary zusammensaß, leise flüsternd über das Problem auf. Worauf sie geschmeidig aufstand und zu den Türen des Ballsaals strebte. Als Adrian ihr folgen wollte, schnappte er von Lydia auf: »Bald hat sie ja wieder ihre Brille.«
Adrian schnellte zu seiner künftigen Stiefschwiegermutter herum. »Entschuldigung, was sagten Sie da gerade?«
»Ich hab darum gebeten, dass ihre Ersatzbrille nach London geschickt wird. Sie müsste bald hier sein.« Sie lächelte. »Dann sieht sie wieder vernünftig und weiß wenigstens, wen sie da heiratet. Im Moment ist Clarissa im siebten Himmel. Ob sie das auch noch ist, wenn sie Sie gesehen hat, bleibt abzuwarten.«
»Sie ist sehr glücklich mit Adrian, und das bleibt auch so«, sagte Mary mit Bestimmtheit. Sie war aufgesprungen und fasste Adrian am Arm. »Weißt du was, ich begleite dich.«
Adrian ließ sich von seiner Cousine aus dem Ballsaal ziehen, seine Gedanken überschlugen sich. Clarissa mit Brille? Wie würde sie reagieren, wenn sie sein Gesicht sah? Er wurde bleich vor Entsetzen. Bestimmt nicht positiv.
»Was ist mit dir? Fühlst du dich nicht wohl?«, fragte Mary unterwegs besorgt. »Du bist weiß wie eine Wand geworden, als Lydia das mit Clarissas Brille erwähnte.«
Adrian versagte sich eine Antwort. Er wusste auch keine. Ja richtig, er fühlte sich unwohl. Grottenschlecht und panisch, um genau zu sein. Aber das mochte er Mary nicht sagen.
Sie erriet es auch so. Sie drückte begütigend seinen Arm und sagte leise: »Clarissa liebt dich so, wie du bist, Adrian.«
Er wollte ihr so gern glauben, doch sein Brustkorb war vor Angst wie zugeschnürt, und er sagte gepresst: »Wo ist Reginald?«
»Ich glaube, er spielt mit ein paar von den Gentlemen Karten«, meinte Mary. Neugierig schob sie hinterher: »Wieso?«
»Ich muss dringend mit ihm sprechen.« Adrian tätschelte ihre Hand. »Danke, Mary. Da hinten sind Mutter und Clarissa. Geh schon mal zu ihnen, ich red in der Zwischenzeit mit Reg.«
Mary nickte abwesend. »Gute Güte, was ist denn mit Clarissa passiert!«
»Ihre Haare sind ein
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