Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
Clarissa nicht lange, sondern glitt zur Tür hinaus. Draußen blieb sie unschlüssig stehen. Zwei Läden weiter, hatte das Mädchen gesagt, aber nicht in welche Richtung. Sie überlegte kurz, dann lief sie nach links. Wenn sie den Laden dort nicht fand, entschied sie, wollte sie nachher den Weg nach rechts einschlagen.
Wie es der Zufall wollte, entschied Clarissa sich für die richtige Richtung. Sie blieb vor dem nächsten Geschäft stehen und drückte sich die Nase an der Scheibe platt, um halbwegs erkennen zu können, was im Schaufenster in der Auslage lag. Gleich im zweiten Schaufenster waren Brillen ausgestellt. Als sie den Laden betrat, hatte sie ein gutes Gefühl. Sie war ganz nah dran, wieder besser sehen zu können.
»Kann ich Ihnen helfen, Mylady?«
Clarissa fuhr erschrocken zusammen und drehte sich zu der Stimme um. Uffz, sie hatte den Optiker gar nicht kommen hören, denn er bewegte sich leise wie ein Mäuschen. Als sie sich wieder gefasst hatte, sagte sie: »Öh … mhm, ich brauche eine Brille.«
»Na, da sind Sie bei mir richtig, gnädiges Fräulein. Ich habe viele Brillen vorrätig.«
So einfach war das. Als Clarissa den Laden kurz darauf verließ, hatte sie eine Brille auf der Nase und ein breites Lächeln im Gesicht. Es war fantastisch. Es war himmlisch. Sie konnte wieder fabelhaft sehen!
Sie spähte neugierig die Straße hinauf und hinunter, beobachtete die vorübergehenden Passanten, nahm die feinen Details ihrer Kleidung und die Falten in ihren Gesichtern wahr, bestaunte die prächtigen Kutschen und Pferde. Einfach wundervoll! Ein glücklicher kleiner Seufzer hüpfte über ihre Lippen. Kurz entschlossen lief sie zurück in das Schneiderinnenatelier, ehe man sie dort vermisste. Zumal sie nicht vorhatte, Lady Mowbray von ihrem kleinen Ausflug und dem Brillenkauf zu berichten. Erst mal wollte sie Adrian heimlich auf den Zahn fühlen. Wenn er Brillen tatsächlich nicht leiden konnte, würde sie das Teil in seinem Beisein nicht tragen … wenigstens so lange nicht, bis sie sich sicher war, dass er sich ernsthaft in sie verliebt hätte. Liebe macht blind, kicherte sie stumm in sich hinein – wenn er soooo richtig in mich verschossen ist, merkt er vermutlich nicht mal mehr, dass ich so ein Ding trage.
Das hoffte sie jedenfalls inständig. Clarissa hatte nämlich keine Lust mehr, ihr Dasein als Blindschleiche zu fristen.
Vor dem Atelier blieb sie stehen, gönnte sich noch einen gestochen scharfen Blick auf ihre Umwelt, dann versenkte sie das Nasenfahrrad kurzerhand in dem kleinen Beutel, der in ihren Rock eingenäht war. Dort war ihr kleines Geheimnis erst mal sicher aufgehoben. Wenn sie allein war, wollte sie künftig die Brille tragen, aber bis auf Weiteres nicht im Beisein von Adrian.
Kurzsichtig blinzelnd betrat Clarissa das Atelier der Schneiderin, als Lady Mowbray ihr schon kurzatmig entgegengelaufen kam.
»Sind Sie fertig, Liebes?«, fragte Adrians Mutter. »Was halten Sie davon, wenn wir den Tee bei Adrian einnehmen? Dann lernen Sie gleich Ihr neues Personal kennen.«
Clarissas Brauen zuckten nach oben. »Adrian hat ein eigenes Stadthaus in London?«
»Aber ja, mein Kind. Er hat das Haus gekauft, als er jung und wild war und etwas Eigenes wollte, wo er auch schon mal Fünfe gerade sein lassen konnte.« Lady Mowbray schüttelte nachsichtig den Kopf. »Ich glaube manchmal, er hat es behalten, weil er mich ärgern will. Er wohnt dort, damit ich ihn nicht dauernd beaufsichtigen oder zu irgendwelchen Partys und Festen mitschleppen kann.«
Clarissa lächelte sanft. »Tee bei Adrian klingt ganz reizend, Mylady.«
»Dann kommen Sie.« Adrians Mutter nahm Clarissa bei der Hand und führte sie aus dem Atelier. »Clarissa, Liebes … Ich weiß, Sie haben Probleme mit Lydia, und ich möchte, dass Sie eins wissen. Wenn Sie etwas brauchen, fragen Sie mich ruhig. Ich helfe Ihnen gern. Ich hab immer ein offenes Ohr für Ihre Sorgen und Nöte. Sie sind für mich wie eine eigene Tochter, und ich bin sehr froh darüber, dass Adrian sich für Sie entschieden hat.«
Clarissas Kehle verengte sich vor Rührung, und sie hatte Mühe, zu sprechen. Sie nickte. »Danke, Mylady.« Mehr brachte sie nicht heraus.
11
»Hier ist Ihr Honorar.« Adrian warf ein Säckchen Münzen auf seine Schreibtischplatte und lehnte sich seufzend in seinem Bürostuhl zurück. Martin Hadley steckte den Beutel ein.
Adrian engagierte Martin Hadley schon seit Längerem, das erste Mal war vor einigen Jahren gewesen, als auf dem
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