Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
der Butler, was seiner finsteren Miene allerdings keinen Abbruch tat.
Adrian zog eine Grimasse, dann drehte er sich um zu Clarissa, die sich kurzsichtig blinzelnd in seiner Eingangshalle umschaute. Die war in gedeckten Blautönen gehalten, der perfekte Kontrast zu ihrem hellen Kleid. Sie sah aus, als gehörte sie in dieses Haus.
»Sie müssen ihm das nachsehen, Jessop. Er ist derart hingerissen von seiner Verlobten, dass er nichts anderes mehr im Kopf hat. Ich fürchte, mein Sohn wird in der nächsten Zeit zu nichts zu gebrauchen sein – zumindest, bis er unsere reizende Clarissa geheiratet hat. Finden Sie nicht, dass sie bezaubernd ist, Jessop?«
»Wirklich ganz bezaubernd, Mylady«, bekräftigte Jessop.
»Die beiden werden mir hübsche Enkelchen schenken, was meinen Sie?«
»Aber gewiss, Mylady.«
Als er sah, dass Clarissa verlegen errötete, fuhr Adrian die beiden an: »Wir sind zufällig mit im Raum und hören jedes Wort, das nur ganz nebenbei bemerkt.«
»So, dann hörst du mir wenigstens einmal zu«, meinte Lady Mowbray spitz. Sie fasste Jessop am Arm und schob ihn durch die Halle. »Kommen Sie mit, guter Mann. Wir schauen mal, was die Köchin für uns gezaubert hat. Adrian kann sich glücklich schätzen, dass er dermaßen nettes, aufmerksames Personal hat. Sie bewältigen jede Krisensituation mit Bravour – ich muss sagen, ich bin immer wieder tief beeindruckt.«
Adrian verdrehte die Augen, als er hörte, wie seine Mutter dem Butler Honig um den nicht vorhandenen Bart strich. In ein paar Minuten würden seine Angestellten Lady Mowbray jeden Wunsch von den Augen ablesen, und das Chaos, das er angerichtet hatte, wäre schlagartig vergessen.
»Ich möchte niemandem unnötig Arbeit machen«, sagte Clarissa leise. »Wir müssen nicht zum Tee bleiben, wenn …«
»Unsinn«, schnitt Adrian ihr das Wort ab. Er trat einen Schritt vor, um Clarissa in seine Umarmung zu ziehen, und blieb unverrichteter Dinge stehen, als seine Mutter ihm über die Schulter zurief: »Zeig ihr doch mal das Haus, Adrian. Schließlich ist es bald auch ihr Haus, und sie sollte es wenigstens einmal gesehen haben, bevor sie hier einzieht.«
Er ließ seufzend die Arme sinken, schob eine Hand unter Clarissas Ellenbogen und führte sie zur Treppe. »Komm, ich zeig dir erst mal die obere Etage.«
»Wenn ihr in einer Viertelstunde nicht zurück seid, komm ich hoch und such nach euch!«, drang die Stimme seiner Mutter zu ihnen. Dann verschwand sie mit Jessop in der Küche.
Adrian schnitt eine Grimasse und geleitete Clarissa nach oben.
12
Am Tag ihrer Hochzeit wurde Clarissa ganz früh wach und konnte nicht mehr einschlafen. Sie lag im Bett und dachte voller Aufregung an den vor ihr liegenden Tag – und an ihre Hochzeitsnacht, dann fiel ihr die neue Brille ein. Sie setzte sich kerzengerade im Bett auf, zog sie aus dem kleinen abnehmbaren Beutel, den sie sonst unter ihrem Rock trug, und setzte sich die Sehhilfe auf die Nase.
Ein kleiner Seufzer entwich ihren Lippen, als ihre Umgebung mit einem Mal Konturen bekam. Die meiste Zeit nahm Clarissa ihre Umwelt bloß als bunt verwischten Nebel wahr, und häufig hatte sie Kopfweh vom vielen Blinzeln. Schon möglich, dass sie mit Brille nicht gut aussah, aber sie konnte damit alles viel besser sehen.
Es war ihr schwergefallen, die Brille nicht aufzusetzen und alle Welt freudestrahlend wissen zu lassen, dass sie endlich wieder gut sehen konnte. Letztlich fand sie es jedoch besser, ihr kleines Geheimnis für sich zu behalten, bis Adrians Zuneigung zu ihr sich endgültig gefestigt hatte.
Falls er sich überhaupt in mich verliebt, sann sie. Sie hoffte inständig, dass das bald passierte. Sie wusste, dass er sie attraktiv fand und sie zu mögen schien, aber das hieß längst nicht, dass sich daraus eine tiefe Liebe entwickelte, die ein Leben lang währte.
Mit der Brille auf der Nase erwog Clarissa, nach unten in die Bibliothek zu huschen, um sich dort ein Buch zu holen. Hm, dazu reichte die Zeit vermutlich nicht mehr. Bevor sie eine Entscheidung treffen konnte, wurde die Türklinke heruntergedrückt, und das Klicken drang laut durch den stillen Raum. Sie riss sich die Brille von der Nase, schnappte sich das Beutelchen. Es glückte ihr eben noch, das gute Stück verschwinden zu lassen, als Lydia ihr Zimmer betrat.
Ihre Stiefmutter hatte irgendetwas in der Hand, aber Clarissa konnte nicht erkennen, was. Sie sah, dass Lydia etwas auf die Frisierkommode neben der Tür legte, dann kam sie aufs Bett
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