Liebe auf den zweiten Kuss
bezahlen.«
Sie sah Nell eindringlich an, die Augen weit aufgerissen und flehend. Nell dachte, wenn ich ein Mann wäre, könnte sie damit sogar durchkommen . Ihr roter Pullover würde sich als besonders hilfreich erweisen, und einen Augenblick lang wünschte Nell, sie wäre die Art von Frau, die einen engen, leuchtend roten Pullover an Stelle grauer Kostüme trug.
»Das können Sie doch nachvollziehen, oder nicht?«, hakte Lynnie nach. »Eine allein stehende Frau?«
Ich muss wirklich erbärmlich aussehen , dachte Nell. Sie sieht, dass ich allein stehend bin . Sie lächelte Lynnie kurz zu. »Natürlich kann ich das, aber da es Ihnen jetzt besser geht, hätten wir das Geld gern wieder zurück.«
Lynnie schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann kaum glauben, dass Gabe die paar hundert Dollar so sehr am Herzen liegen.«
»5875 Dollar«, sagte Nell überdeutlich. »Jedenfalls ist das der Betrag, von dem wir bisher ausgehen. Wir hätten es gerne in bar.«
»Das ist unmöglich.« Lynnie riss die Augen auf. »So viel kann ich mir unmöglich geliehen haben.«
»Wirklich sehr beeindruckend«, gab Nell zurück. »Sehen Sie zu, dass Sie das Bargeld auftreiben, oder ich schalte die Polizei ein.« Für den Bruchteil einer Sekunde blickte Lynnie sie entsetzt an, doch dann lächelte sie, obwohl ihre Unterlippe ein wenig zitterte. »Sie sehen eigentlich nicht grausam aus.«
»Ich hatte eine schlimme Woche«, gab Nell zurück. »Grausam bin ich nicht, boshaft trifft es eher.«
Lynnie sah ihr in die Augen, dann verwandelte sie sich vor Nells Augen von einem hilflosen, weichen Mädchen in eine knallharte, wenngleich etwas erschöpfte Frau.
» Sie hatten eine schlechte Woche!« Lynnie lachte bitter. »Was soll ich da erst sagen.«
»Es muss Ihnen wirklich schwer fallen, Unschuldige auszunehmen«, bemerkte Nell.
»Welche Unschuldigen?« Lynnie lehnte sich zurück. »Meine Liebe, so etwas wie unschuldige Männer gibt es nicht. Es gibt lediglich Typen, die noch nicht erwischt worden sind.« Sie hob ihr Kinn und fuhr fort: »Deswegen zahle ich es ihnen zurück. Ich bin eine Frau, die Gerechtigkeit einfordert.«
»Was hat Ihnen Gabe denn angetan?«
»Gabe?« Lynnie zuckte mit den Schultern. »Gabe ist in Ordnung. Seine bestimmende, egozentrische Art hat man zwar bald durchschaut, aber grundsätzlich ist er in Ordnung?«
Damit hatte sie Recht. Nell versuchte, ihrer Logik zu widerstehen, denn es widerstrebte ihr, Lynnie beizustimmen.
»Das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, sein Geschäft zu ruinieren.«
Lynnie blickte überrascht auf. »Ich habe sein Geschäft nicht ruiniert.« Sie beugte sich vor. »Was habe ich denn genommen? Das Putzgeld? Na und, schließlich habe auch ich geputzt.«
Nicht sonderlich gründlich , dachte Nell, doch Lynnie war nicht mehr zu bremsen.
»Ich war in dem Job völlig unterbezahlt. Himmel noch mal, ich war in jedem Job, den ich jemals gehabt habe, unterbezahlt. Wenn ich ein Mann wäre, wäre ich nicht einfach nur die Sekretärin gewesen, sondern Buchhalter mit doppeltem Gehalt. Ich habe einmal für einen Rechtsanwalt gearbeitet und sämtliche Arbeit für ihn erledigt. Jeder Typ, für den ich je in meinem Leben gearbeitet habe, hat die Worte Opferbereitschaft und Dienstbarkeit groß geschrieben.« Ihre Lippen wurden hart. » Meine Opferbereitschaft und meine Dienstbarkeit.«
»Dann knöpfen Sie sich die doch vor«, schlug Nell vor und zwang sich mit Mühe, nicht Sie haben verdammt Recht zu sagen. »Quälen Sie alle Mistkerle, die Ihnen über den Weg laufen, wenn Ihnen der Sinn danach steht. Ich werde Sie nicht daran hindern, sondern anfeuern. Ich hätte da auch noch einen Mistkerl in petto, an dem Sie sich austoben könnten. Aber ich will Gabes Geld zurückhaben. Das war nicht fair, und er hat es nicht verdient.«
»Die Typen haben es allesamt verdient. Sie waren verheiratet, nicht wahr?« Lynnie musterte sie. »Sie haben diesen Ich-war-einmal-verheiratet-Blick. Wie lange? Zwanzig Jahre?«
»Zweiundzwanzig«, erwiderte Nell, und ihr wurde übel.
»Lassen Sie mich raten«, fuhr Lynnie fort. »Sie haben für ihn gearbeitet und ihm ein Leben aufgebaut und Ihrerseits alles in ihn investiert und für die gemeinsame Zukunft geopfert, in der endlich Sie mal an der Reihe sein würden. Nur dass er irgendwann seine Meinung geändert hat, und jetzt arbeiten Sie für Gabe. Wie geht es Ihnen finanziell?«
»Ich komme zurecht«, erwiderte Nell. »Darum geht es hier nicht...«
»Zurecht, mehr nicht«,
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