Liebe auf eigene Gefahr Roman
letzten Spuren des Zuckergusses auf. »Ich habe gelesen, dass sie immer rote Schuhe trägt, wenn sie etwas tun muss, das sie nervös macht.«
»Nun ja.« Sie leert ihr Sektglas. »Anscheinend habe ich mich ganz umsonst aufgeregt. Bringst du mich zum Auto?« Sie nimmt sich den letzten Keks vom Teller.
»Claire?« Eine etwas fülligere Blondine in langer, flatternder Abendrobe schlurft uns in den Weg, eine passende Clutch-Handtasche unter den Oberarm geklemmt. »Marjorie. Lauras Tante – Janes Schwester«, stellt sie sich vor und schüttelt Moms Hand wie einen Pumpenschwengel, während die Blütenblätter aus ihrem Anstecksträußchen am Handgelenk nur so ins Gras rieseln. »Von den Hellers aus Minnesota.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagt Mom, während ich dabei zusehe, wie Lauras halbwüchsige Cousine aus Dubuque die Tischdekoration zerlegt. »Laura ist eine wunderschöne Braut. Es war so ein Privileg, dieses Mädchen aufwachsen zu sehen.«
Die Frau umklammert immer noch Moms Hand, ohne dass irgendetwas von dem, was Mom gerade gesagt hat, zu ihrem begeisterten Gesicht durchdringen würde. »Ich habe mir geschworen, dass ich, wenn ich Sie je kennenlernen würde, also ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus … Es ist nur so, dass Jane mir alles über Ihre furchtbare Situation erzählt hat, und ich wollte Ihnen sagen, wie entgeistert ich war, wie entsetzlich ich das alles finde.«
Moms Augen weiten sich. Weil ich diese Angriffe auf mein Privatleben längst gewöhnt bin, gehe ich geistesgegenwärtig dazwischen: »Vielen Dank, sehr lieb von Ihnen. Aber wir wollten gerade gehen.«
»Diesen Jungen sollte man einfach erschießen. Unvorstellbar, was Sie das letzte Jahr durchgemacht haben. Jedes
Mal, wenn ich dieses Lied höre, denke ich: Wenn ihr doch nur wüsstet , wenn ihr doch nur wüsstet , was für eine schreckliche, schreckliche Person dieser Junge ist, dann würdet ihr nicht anrufen und ihn euch wünschen.« Ihr geht die Puste aus, deshalb nickt sie Mom einfach zu, während ihre Beileidsbekundung versickert.
»Vielen Dank«, sagt Mom, zieht ihre Hände aus der Umklammerung und stirbt hinter ihrem glasigen Lächeln tausend Tode. Die beiden Frauen nicken sich gegenseitig zu, und Marjorie schaut uns erwartungsvoll an.
»Also …« Ich durchsuche mein cocktailgetränktes Hirn nach einer deutlicheren Ausrede.
»Entschuldigen Sie bitte«, springt Mom ein, »aber mein Mann wartet im Auto.«
»Es ist großartig, dass Sie das alles gemeinsam überstanden haben – er muss ein sehr verständnisvoller Mann sein.«
Moms Lächeln stürzt in sich zusammen, genau wie mein Magen. »Ist er auch.« Mom schnappt sich ihre Handtasche vom Tisch.
»Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen!«, ruft sie uns hinterher, und ich winke.
Als ich meinen Arm unter Moms Arm schieben will, macht sie einen Schritt zur Seite. Im Schein der Teelichter, die den Pfad zur Vorderseite des Hauses erhellen, erkenne ich ihren finsteren Gesichtsausdruck.
»Mom?«, frage ich, als sie die vollgeparkte Straße auf- und abblickt, ohne mich anzusehen. »Mom.«
Sie wirbelt herum, und ihre Hand erwischt meine Wange in einem schnellen, stechenden Schlag, der mich zurücktaumeln lässt.
Dad fährt vor, und sie steigt neben ihm ins Auto, während ich bewegungslos dastehe. Fassungslos. »Viel Spaß noch!«, ruft er und lenkt den Wagen auf die dunkle Straße hinaus.
»Spaß«, wiederhole ich in Richtung der sich entfernenden
Rücklichter, während ich meinen Unterkiefer vorschiebe. Ich bin so fertig, habe alles so über, dass ich meine Riemchensandalen ausziehe und sie kurzerhand in einen Mülleimer am Straßenrand werfe, bevor ich zurück zum Haus schlendere. Während ich die dichte Juninacht in mich aufsauge und die reine Luft meine pulsierende Wange kühlen lasse, schlängle ich mich auf dem weichen Rasen vor der Nachbarshecke entlang. Das Zirpen der Grillen erfüllt die feuchte Luft um mich herum. Der Sekt ist mir zu Kopf gestiegen, und ich spüre mein Kleid am Körper, das Kleid, das ihn sein ganzes Leben bereuen lassen sollte, spüre, wie es sich eng um jede meiner Kurven schmiegt, und da will ich ihn noch mehr. Hier, in der üppigen Hitze des Sommers in Vermont. Hier, auf der Motorhaube dieses geparkten Autos …
»Hollis.«
Eine Hand greift nach mir, als ich über große schwarze Schuhe stolpere. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Rasen hinunter, wo Benjy sich gerade eine Zigarette zwischen die Lippen steckt und zu mir hochschielt,
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