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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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einem Strom von Licht kam der Arzt und hinter ihm die Schwester. »Sie müssen nun gehen«, sagte die Schwester.
      »Ja.« Steiner erhob sich und beugte sieh über das Bett. »Ich komme morgen wieder, Marie.«
      Sie lag wie ein müde gespieltes, halb schlafendes, halb träumendes Kind. »Ja«, sagte sie, und er konnte nicht erkennen, ob sie zu ihm oder zu seinem Traumbild sprach. »Ja, komm wieder.«
      Steiner wartete draußen auf den Arzt. Er fragte ihn, wie lange es noch dauern würde. Der Arzt musterte ihn. »Drei bis vier Tage höchstens«, sagte er dann. »Es ist ein Wunder, daß sie überhaupt noch so lange ausgehalten hat.«
      »Danke.« Steiner ging langsam die Treppen hinunter. Vor dem Portal blieb er stehen. Vor ihm lag plötzlich die Stadt. Er hatte sie nicht wahrgenommen, als er gekommen war … aber jetzt lag sie deutlich und unentrinnbar zugleich vor ihm. Er sah die Straßen, er sah die Gefahr, die unsichtbare, schweigende Gefahr, die an jeder Ecke, in jedem Haustor, in jedem Gesicht auf ihn lauerte. Er wußte, daß er nicht viel tun konnte. Der Platz, wo man ihn fassen konnte, wie ein Wild an der Tränke im Dschungel, war dieser weiße, steinerne Bau hinter ihm. Aber er wußte auch, daß er sich verbergen mußte, um wiederkommen zu können. Drei bis vier Tage. Ein Nichts und eine Ewigkeit. Einen Augenblick überlegte er, ob er versuchen sollte, einen seiner Freunde zu treffen – doch dann entschied er sich für ein mittleres Hotel. Das war am unauffälligsten für den ersten Tag.
    KERN SASS MIT DEM Österreicher Leopold Brück und dem Westfalen Moenke in einer Zelle des Gefängnisses La Santé. Sie klebten Tüten.
      »Kinder«, sagte Leopold nach einer Weile, »ich habe einen Hunger – unmenschlich! Am liebsten möchte ich den Kleister auffressen – wenn’s nicht bestraf würde!«
      »Warte noch zehn Minuten«, erwiderte Kern. »Dann kommt der Abendfraß.« – »Was nützt das schon! Hinterher werde ich erst recht Hunger haben.« Leopold blies eine Tüte auf und zerschlug sie mit einem Knall. »Es ist ein Elend in so verfluchten Zeiten, daß der Mensch einen Magen hat. Wenn ich jetzt an ein Beinfleisch denke … oder gar an einen Tafelspitz … ich könnte diese ganze Bude niederreißen!«
      Moenke hob den Kopf. »Ich denke mehr an ein großes, blutiges Beefsteak«, erklärte er. »Mit Zwiebeln und Bratkartoffeln. Dazu ein eiskaltes Bier.«
      »Hör auf!« Leopold stöhnte. »Denken wir an was anderes. An Blumen meinetwegen.«
      »Warum denn gerade an Blumen?«
      »An irgend etwas Schönes, verstehst du denn nicht? Zum Ablenken was!«
      »Blumen lenken mich nicht ab.«
      »Ich habe einmal ein Beet mit Rosen gesehen.« Leopold versuchte sich krampfaf zu konzentrieren. »Letzten Sommer. Vor dem Gefängnis in Pallanza. Abends in der Sonne, als wir entlassen wurden. Rote Rosen. So rot wie … wie …«
      »Wie ein rohes Beefsteak«, half Moenke aus.
      »Ach, verdammt!«
      Ein Schlüssel rasselte. »Da kommt der Fraß«, sagte Moenke.
      Die Tür öffnete sich. Es war nicht der Kalfaktor mit dem Essen – es war der Aufseher. »Kern …«, sagte er.
    Kern stand auf.
    »Kommen Sie mit! Besuch!«
      »Wahrscheinlich der Präsident der Republik«, vermutete Leopold.
      »Vielleicht Klassmann. Er hat ja Papiere. Möglich, daß er was zu essen mitbringt.«
      »Butter!« sagte Leopold inbrünstig. »Ein großes Stück. Gelb wie eine Sonnenblume!«
      Moenke grinste. »Mensch, Leopold, du Lyriker! Jetzt denkst du sogar an Sonnenblumen!«
      Kern blieb an der Tür stehen, als hätte er einen Schlag empfangen. »Ruth!« sagte er atemlos. »Wie kommst denn du hierher? Haben sie dich gefaßt?«
      »Nein, nein, Ludwig!«
      Kern warf einen raschen Blick auf den Aufseher, der teilnahmslos in einer Ecke lehnte. Dann ging er eilig zu Ruth hinüber.
      »Um Gottes willen, geh sofort wieder, Ruth«, flüsterte er auf deutsch. »Du weißt nicht, was los ist! Sie können dich jeden Moment verhafen, und das heißt vier Wochen Gefängnis und beim zweitenmal sechs Monate! Also geh schnell – schnell!«
      »Vier Wochen?« Ruth sah ihn erschrocken an. »Vier Wochen mußt du hier bleiben?«
      »Das macht doch nichts! Das war eben Pech! Aber du … laß uns nicht leichtsinnig sein! Jeder kann dich nach Papieren fragen! Jede Sekunde!«
      »Aber ich habe doch Papiere!«
      »Was?«
      »Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis, Ludwig!«
      Sie holte den

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