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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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dir.«
      »Wenn sie dich finden …«, flüsterte die Frau.
      »Sie finden mich nicht. Sie können mich nicht finden. Ich kann hierbleiben. Ich bleibe bei dir.«
      »Faß mich an, Josef – ich muß fühlen, daß du da bist. Gesehen habe ich dich of…«
      Er nahm ihre leichte Hand mit den blauen Adern in seine Hände und küßte sie. Dann beugte er sich über sie und legte seine Lippen auf ihren müden und schon fernen Mund. Als er sich aufrichtete, standen ihre Augen voll Tränen. Sie schüttelte sanf das Gesicht, und die Tropfen fielen wie Regen herunter.
      »Ich wußte, daß du nicht kommen konntest. Aber ich habe immer auf dich gewartet …«
      »Jetzt bleibe ich bei dir.«
      Sie versuchte ihn zurückzuschieben. »Du kannst doch nicht hierbleiben! Du mußt fort. Du weißt nicht, was hier war. Du mußt gleich gehen. Geh, Josef …«
      »Nein, es ist nicht gefährlich.«
      »Es ist gefährlich, ich weiß es besser. Ich habe dich gesehen, nun geh! Es dauert nicht lange mehr mit mir. Das kann ich gut allein abmachen.«
      »Ich habe es so eingerichtet, daß ich hierbleiben kann, Marie. Es kommt eine Amnestie; darunter falle ich auch.«
      Sie blickte ihn ungläubig an.
      »Es ist wahr«, sagte er, »ich schwöre es dir, Marie. Es braucht niemand zu wissen, daß ich hier bin. Aber es ist auch nicht schlimm, wenn man es weiß.«
      »Ich sage nichts, Josef. Ich habe nie etwas gesagt.«
      »Das weiß ich, Marie.« Eine Wärme stieg ihm in die Stirn. »Du hast dich nicht von mir scheiden lassen?«
      »Nein. Wie konnte ich das! Sei nicht böse deshalb.«
      »Es war nur für dich, damit du es leichter haben solltest.«
      »Ich habe es nicht schwer gehabt. Man hat mir geholfen. Auch daß ich dieses Zimmer habe. Es war besser, allein zu liegen. Du warst dann mehr da.«
      Steiner sah sie an. Das Gesicht war zusammengeschmolzen, die Knochen traten heraus, und die Haut war wächsern blaß, mit blauen Schatten. Der Hals war zerbrechlich und dünn, und die Schlüsselbeine standen stark aus den eingesunkenen Schultern hervor. Sogar die Augen waren verschleiert, und der Mund war ohne Farbe. Nur das Haar leuchtete und funkelte, es schien dichter und stärker geworden zu sein, als ob all die vergangene Kraf sich in ihm gesammelt habe, um über den erlöschenden Körper zu triumphieren. Es bauschte sich in der Nachmittagssonne wie eine Gloriole aus Rot und Gold, wie ein wilder Protest gegen die Müdigkeit des kindhafen Leibes unter dem Leinen, das er kaum mehr hob.
      Die Tür ging auf, und eine Schwester kam herein. Steiner stand auf. Die Schwester trug ein Glas mit einer milchigen Flüssigkeit und stellte es auf den Tisch. »Sie haben Besuch?« sagte sie, während ihre raschen, blauen Augen Steiner musterten.
      Die Kranke bewegte den Kopf. »Aus Breslau«, flüsterte sie.
      »So weit her? Das ist schön. Da haben Sie doch etwas Unterhaltung. «
      Die blauen Augen gingen wieder hurtig über Steiner hinweg, während die Schwester ein Termometer hervorzog.
      »Hat sie Fieber?« fragte Steiner.
      »Ach wo«, erwiderte die Schwester fröhlich. »Seit Tagen schon nicht mehr.«
      Sie legte das Termometer an und ging. Steiner zog einen Stuhl an das Bett und setzte sich Marie gegenüber. Er nahm ihre Hände in seine Hände. »Freust du dich, daß ich da bin?« und war sich bewußt, wie töricht seine Frage war.
      »Es ist alles«, sagte Marie, ohne zu lächeln.
      Sie sahen sich an und schwiegen. Es war so wenig zu sagen, denn es war so viel, daß sie beisammen waren. Sie sahen sich an, und es war nichts mehr da außer ihnen. Der eine versank im andern. Sie waren heimgekehrt zu sich. Das Leben hatte keine Zukunf und keine Vergangenheit mehr; es war nur noch Gegenwart. Es war Ruhe, Stille und Frieden.
      Die Schwester kam noch einmal herein und zeichnete einen Strich auf die Fieberkurve; sie merkten es kaum. Sie sahen sich an.
      Die Sonne glitt langsam weiter, sie verließ zögernd das flammende, schöne Haar und ließ sich wie eine weiche Katze aus Licht dicht daneben auf dem Kissen nieder; dann schob sie sich unwillig zur Wand hinüber und kletterte langsam daran empor; die beiden sahen sich an. Die Dämmerung kam auf blauen Füßen und füllte das Zimmer; sie sahen sich an und ließen sich nicht, bis die Schatten aus den Zimmerecken hervorgeweht kamen und mit ihren Flügeln das weiße Gesicht, das einzige Gesicht verdeckten.
      Die Tür ging auf, und mit

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