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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Mahlzeit zu essen. Dann bestellte er sich eine Zeitung und Zigaretten. Er tat, als wenn er läse, und er wollte es auch. Aber nichts drang durch die Mauer seiner Stirn. Er saß in einem halbdunklen Raum, der nach Speisen und schalem vergossenem Bier roch, und erlebte die schrecklichsten Stunden seines Daseins. Er malte sich aus, daß Marie jetzt, in diesen Stun den, stürbe, er hörte ihre verzweifelten Rufe nach ihm, er sah ihr vom Todesschweiß überträntes Gesicht, und er saß bleiern auf seinem Stuhl, die Zeitung raschelnd vor den Augen, und biß die Zähne zusammen, um nicht zu stöhnen und aufzuspringen und fortzulaufen. Der kriechende Zeiger auf seiner Uhr war der Arm des Schicksals, der sein Leben staute und ihn fast ersticken ließ ob seiner Langsamkeit.
      Er ließ endlich die Zeitung sinken und stand auf. Der Kellner lehnte an der Teke und stocherte in den Zähnen. Er kam heran, als er sah, daß der Gast sich erhob. »Zahlen?« fragte er.
      »Nein«, sagte Steiner. »Noch einen Kirsch.«
      »Gut.« Der Kellner schenkte ein.
      »Nehmen Sie auch einen.«
      »Können wir machen.«
      Der Kellner goß noch ein Glas voll und hob es mit zwei Fingern an.
      »Zur Gesundheit!«
      »Ja«, sagte Steiner, »zur Gesundheit.«
      Sie tranken und setzten die Gläser nieder. »Spielen Sie Billard?« fragte Steiner.
      Der Kellner blickte auf den dunkelgrün ausgeschlagenen Tisch, der in der Mitte der Gaststube stand. »Etwas.«
      »Wollen wir eine Partie machen?«
      »Warum nicht? Spielen Sie gut?«
      »Ich habe lange nicht gespielt. Wir können erst eine Probepartie machen, wenn Sie wollen.«
      »Gemacht.«
      Sie kreideten die Stöcke ein und spielten einige Bälle. Dann begannen sie eine Partie, die Steiner gewann.
      »Sie spielen besser als ich«, sagte der Kellner. »Sie müssen mir zehn Punkte vorgeben.«
    »Gut.«
      Wenn ich diese Partie gewinne, wird alles gut, dachte Steiner. Sie lebt, ich sehe sie, sie wird vielleicht wieder gesund …
      Er spielte konzentriert und gewann die Partie. »Jetzt gebe ich Ihnen zwanzig Punkte vor«, sagte er. Diese zwanzig Punkte waren Leben, Gesundheit und Flucht zusammen, und die weißen Bälle und ihr Klicken waren wie das Schnappen der Schlüssel des Schicksals. Das Spiel war hart. Der Kellner kam in einer guten Serie bis auf zwei Punkte an die volle Zahl heran; dann verfehlte er den letzten Ball um einen Zentimeter. Steiner nahm sein Queue und begann zu spielen. Die Augen flimmerten ihm, und er mußte einige Male pausieren; aber er kam ohne Fehlstoß zu Ende.
      »Gut gespielt«, sagte der Kellner anerkennend.
      Steiner nickte ihm dankbar zu und sah auf die Uhr. Es war nach drei. Rasch zahlte er und ging.
      Er stieg die mit Linoleum belegten Stufen hinauf und war nichts mehr als ein einziges, ungeheuer hohes, rasendes Vibrieren. Der lange Gang bog und wellte sich, und dann sprang kreidig eine weiße Tür heraus, schob sich vor und stand still: fünfundertfünf.
      Steiner klopfe. Niemand antwortete. Er klopfe noch einmal. Sein Magen krampfe sich hoch in einer entsetzlichen Angst, daß jetzt noch etwas passieren könne. Er öffnete die Tür.
      Das kleine Zimmer lag im Licht der Nachmittagssonne da wie eine Insel des Friedens aus einer andern Welt. Es schien, als hätte die hallende, vorwärts stürmende Zeit keine Gewalt mehr über die unendlich stille Gestalt, die in dem schmalen Bett lag und Steiner ansah. Er taumelte etwas, und sein Hut entfiel ihm. Er wollte sich bücken, ihn aufzuheben, aber mitten im Bücken brach es wie ein Schlag in seinen Rücken, und ohne zu wissen, was er getan hatte, kniete er neben dem Bett und strömte lautlos von Schütterung und Heimkehr über.
      Die Augen der Frau sahen ihn lange friedvoll an. Erst allmählich wurden sie unruhig. Die Stirn begann zu zucken, und die Lippen bewegten sich. Dann flackerte es wie Schrecken in ihnen auf. Die Hand, die reglos auf der Decke lag, hob sich, als wollte sie sich vergewissern und berühren, was die Augen sahen.
      »Ich bin es, Marie«, sagte Steiner.
      Die Frau versuchte den Kopf zu heben. Ihre Augen irrten über sein Gesicht, das dicht vor ihr war.
      »Sei ruhig, Marie, ich bin es«, sagte Steiner. »Ich bin gekommen.«
      »Josef …«, flüsterte die Frau.
      Steiner mußte den Kopf senken. Das Wasser schoß ihm in die Augen. Er biß sich auf die Lippen und schluckte. »Ich bin es, Marie. Ich bin zurückgekommen, zu

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