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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Steiner wußte, daß nur der Schwarze gefährlich war. Es war ein Fehler, daß er voranging. Im Moment, als er die Tür passierte, trat Steiner nach hinten aus, dem Dicken in den Bauch, und schlug dem Schwarzen die geballte Faust mit aller Kraf wie einen Hammer ins Genick, so daß er die Stufen hinunter gegen den Schmächtigen taumelte. Mit einem Satz sprang er dann hinaus und raste die Straße entlang, ehe die andern sich erholt hatten. Er wußte, daß es seine einzige Chance war, denn auf der Straße hätte er gegen drei Mann nichts mehr machen können. Er hörte Geschrei und sah sich im Laufen um – aber niemand folgte ihm. Sie waren zu überrascht gewesen.
      Er ging langsamer und kam allmählich in belebtere Straßen. Vor dem Spiegel eines Modegeschäfes blieb er stehen und sah sich an. Falschspieler und Betrüger, dachte er. Aber ein halber Paß … Er nickte sich zu und ging weiter.

    Kern saß auf der Mauer des alten jüdischen Friedhofs und
    zählte im Schein einer Straßenlaterne sein Geld. Er hatte
         den ganzen Tag in der Gegend des Heiligenkreuzberges gehandelt. Es war ein armes Viertel; – aber Kern wußte, daß Armut mildtätig ist und nicht nach Polizei ruf. Er hatte achtundreißig Kronen verdient. Es war ein guter Tag gewesen.
      Er steckte sein Geld ein und versuchte, auf dem verwitterten Grabstein, der schief neben ihm an der Mauer lehnte, den Namen zu entziffern. »Rabbi Israel Löw«, sagte er dann, »gestorben in verwischten Zeiten, sicher hochgelehrt einst und nun ein bißchen Knochenerde da unten – was meinst du, was soll ich jetzt tun? Nach Hause gehen, zufrieden sein oder versuchen, zu spekulieren und auf fünfzig Kronen Verdienst zu kommen?«
      Er zog ein Fünfronenstück hervor. »Es ist dir ziemlich gleichgültig, Alter, was? Fragen wir also das Schicksal der Emigranten, den Zufall. Kopf ist Zufriedenheit, Schrif Weiterhandeln.«
      Er wirbelte das Geldstück hoch und fing es auf. Es rollte aus seiner Hand und fiel auf das Grab. Kern kletterte über die Mauer und hob es vorsichtig hoch. »Schrif! Auf deinem Grab! Du selbst rätst mir also ebenfalls dazu, Rabbi! Dann aber los!« Er ging auf das nächste Haus zu, als wollte er eine Festung stürmen.
      Im Parterre öffnete niemand. Kern wartete eine Zeitlang, dann stieg er die Treppen hinauf. In der ersten Etage kam ein hübsches Dienstmädchen heraus. Es sah seine Tasche, verzog die Lippen und machte schweigend die Tür wieder zu.
      Kern stieg zur zweiten Etage empor. Nach zweimaligem Klingeln erschien dort ein Mann mit offenstehender Weste in der Tür. Kern hatte kaum angefangen zu sprechen, als der Mann ihn empört unterbrach. »Toilettewasser? Parfüm? So eine Frechheit! Können Sie nicht lesen, Mensch? Mir, dem Generalvertreter von Andrea-Parfümerieartikeln, ausgerechnet mir wagen Sie Ihren Mist anzubieten? ’raus!«
      Er schmiß die Tür zu. Kern zündete ein Streichholz an und studierte das Messingschild an der Tür. Es war Tatsache; Josef Schimek handelte selbst en gros mit Parfüm, Toilettewasser und Seife. Kern schüttelte den Kopf. »Rabbi Israel Löw«, murmelte er. »Was heißt das? Sollten wir uns mißverstanden haben?«
      Er klingelte in der dritten Etage. Eine freundliche, dicke Frau öffnete. »Kommen Sie nur herein«, sagte sie gutmütig, als sie ihn sah. »Deutscher, nicht wahr? Flüchtling? Kommen Sie nur herein!«
      Kern folgte ihr in die Küche. »Setzen Sie sich«, sagte die Frau, »Sie sind doch sicher müde.«
      »Nicht sehr.«
      Es war das erstemal in Prag, daß man Kern einen Stuhl anbot. Er nutzte die seltene Gelegenheit aus und setzte sich. Entschuldige, Rabbi, dachte er, ich war voreilig. Entschuldige, ich bin jung, Rabbi Israel. Dann packte er seine Tasche aus.
      Die dicke Frau stand behäbig, mit über dem Magen gekreuzten Armen, vor ihm und sah ihm zu. »Ist das Parfüm?« fragte sie und zeigte auf eine kleine Flasche.
      »Ja.« Kern hatte eigentlich erwartet, daß sie sich für Seife interessieren würde. Er hielt die Flasche hoch wie einen kostbaren Edelstein. »Das hier ist das berühmte Farr-Parfüm der Firma Kern. Etwas ganz Besonderes! Nicht so eine Lauge wie zum Beispiel die Produkte der Andreawerke, die Herr Schimek unter uns vertritt.«
      »Soso …«
      Kern öffnete die Flasche und ließ die Frau riechen. Dann nahm er ein Glasstäbchen und strich es über ihre fette Hand. »Versuchen Sie selbst …«
      Die Frau schnupperte ihre Hand ab und

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