Liebe Hoch 5
Nils.
»Wir müssen einen Krankenwagen rufen.«
»Natürlich. Sofort.« Er nahm mir das Telefon aus der Hand und tippte darauf herum.
»Was machst du?«, fragte ich.
»Ich such’ nach der Nummer des Notrufs.«
»Aber die weiß man doch. 112.«
»Sie ist mir gerade nicht eingefallen.«
»Hoffentlich beeilt sich der Krankenwagen«, stöhnte ich. »Conny kann jeden Moment auf der Bildfläche erscheinen. Und ich will sie im Krankenhaus nicht dabei haben. Ich wollte doch nur einen Tipp von ihr.«
»Sie ist deine Hebamme.« Nils hielt das Handy an sein Ohr.
»Aber doch nur, weil Milla mit ihr befreundet ist. Freiwillig hätte ich mir so jemand wie sie nie ausgesucht«, jammerte ich. »Ich schwöre dir, wenn sie nur einmal das Wort Chakra benutzt, …«
»So ein Mist! Beim Notdienst ist besetzt«, unterbrach mich Nils.
»Das kann nicht sein.« Ich nahm ihm das Handy ab und starrte auf das Display. »Ach Nils! Du hast 1122 gewählt.« Ich gab die korrekte Nummer ein und bereits nach wenigen Sekunden hatte ich den Krankenwagen bestellt.
»Es tut mir leid«, sagte Nils. Er kniete sich neben mich und zog mich an sich. »Ich bin dir keine große Hilfe.«
»Doch das bist du. Allein dadurch, dass du da bist.« Erschöpft ließ ich meinen Kopf auf seinen Schoß sinken. Diese Schmerzen vernebelten mir den Verstand. Gegen sie waren die Krämpfe von gestern Abend eine harmlose Streichelmassage gewesen.
Nils wiegte mich hin und her wie ein kleines Kind. Ich schluchzte auf. So hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt. Normalerweise sollte ich jetzt in der Klinik in Starnberg sein. Im Kreißsaal, von dem man auf den See blicken konnte. Ich wollte eine Wassergeburt. Und nun verlief überhaupt nichts nach Plan. Die Wehen kamen in immer kürzeren Abständen. Und das Schlimmste: Es gab keine Pausen. Sobald eine Schmerzwelle abebbte, näherte sich die nächste, sodass mir kaum Zeit zum Verschnaufen blieb.
»Der Krankenwagen kommt bestimmt gleich«, tröstete mich Nils.
Kurz darauf hörte ich draußen vor unserem Haus Bremsen quietschen. Ein paar Sekunden später kam Conny mit fliegenden Dreadlocks und einer Tasche am Arm in die Tiefgarage gesprintet. Sie nahm mir die Decke vom Rücken, warf erst einen prüfenden Blick in mein Gesicht, dann auf meinen Bauch. Was sie sah, schien ihr zu genügen.
»Wir müssen sie in die Wohnung bringen.«
»Ich habe den Krankenwagen gerufen«, warf Nils ein.
»Dazu ist es zu spät. Sie hat ja bereits Presswehen.
»Kannst du aufstehen?« Conny wandte sich an mich.
»Nein. Und ich gehe nirgendwo hin. Ich warte hier, bis der Krankenwagen kommt und mich in die Klinik bringt.« Eigensinnig presste ich die Lippen zusammen und drehte den Kopf weg, um meinen Einwand zu verstärken.
Doch Conny ignorierte mich. »Wir müssen sie tragen«, sagte sie zu Nils. Gemeinsam zogen sich mich hoch.
Der Weg zur Wohnung war die Hölle. Alle paar Meter mussten wir stehen bleiben, weil die Wehen mit voller Wucht durch meinen Körper jagten und mir den Atem nahmen. Oben angekommen legten Nils und Conny mich wie einen nassen Sack auf dem Sofa ab. Im gleichen Moment hörte ich das Tatütata des Krankenwagens. Vielleicht war es doch noch nicht zu spät. Ich versuchte, mich nach oben zu stemmen, doch der Druck in meinem Beckenbereich machte jede Bewegung unmöglich. Es klingelte an der Tür.
»Sagen Sie den Sanitätern Bescheid, dass sie hochkommen sollen. Und wir brauchen eine weiche Unterlage«, wies Conny Nils an. »Ich reinige die Wohnung in der Zwischenzeit von schlechten Einflüssen.«
»Untersteh’ dich, Räucherstäbchen anzuzünden«, zischte ich.
»Dann hole ich aber zumindest die Geburtskerze, die wir im Kurs gebastelt haben. Wo ist sie?«
»Die will ich auch nicht«, zeterte ich. »Das Einzige, was ich will, ist, dass diese verdammten Schmerzen weggehen.« Wenn die Geburt in verschiedene Phasen eingeteilt war, so befand ich mich wahrscheinlich gerade im aggressiven Teil. Ich wusste, dass ich mich daneben benahm, doch es war mir egal. Scheißegal.
»Sie haben alles im Griff?«, fragte eine dunkle Stimme und ich sah ein paar Beine, die in einer weißen Hose steckten, neben mir auftauchen.
»Natürlich«, antwortete Conny. »Sie können mir aber helfen, die junge Frau auf die Unterlage zu legen.« Die Gesichter der Sanitäter schoben sich in mein Blickfeld. Oh Gott! Der eine sah aus wie Frank, der Schrank, der Mann, der ein Stockwerk über uns wohnte, und der andere wie Horst Seehofer. Hoffentlich
Weitere Kostenlose Bücher