Liebe Hoch 5
trübten die Wehen meine Wahrnehmungsfähigkeit.
Die Männer zerrten mich auf die Decken, die Nils mittlerweile auf den Boden gelegt hatte.
»Wir müssen dich ausziehen. Kannst du das Gesäß anheben?«, fragte mich Conny.
»Nein«, keuchte ich.
»Dann brauchen wir ein paar starke Männer«, sagte sie zu den Sanitätern.
Sie versuchten, mich unter der Hüfte zu packen, aber ich schlug wild um mich.
»Jetzt lass dir doch helfen, Süße«, sagte Nils und kniete sich neben mich.
»Es geht nicht. Das Baby kommt.« Die Schmerzen in meinem Bauch waren weg, doch an ihre Stelle war ein unglaublicher Druck getreten.
»Gut, wir schneiden die Hose auf.« Langsam schien auch Conny hektisch zu werden.
Ich spürte, wie etwas Kaltes an meinem Unterleib entlangfuhr, im nächsten Moment wurde mir Stoff über meine Oberschenkel gestreift. Horst Seehofer, Frank, der Schrank … Doch ich kam nicht dazu, weiter über meine entwürdigende Situation nachzudenken.
»Ich muss pressen!«, schrie ich. Der Druck war nun so groß, dass ich ihn kaum noch ertragen konnte.
»Nicht pressen, schieben. So wie wir es im Geburtsvorbereitungskurs gelernt haben«, wies Conny an.
»Ich will aber pressen.« Ich klammerte mich an Nils’ Arm fest und presste mit aller Gewalt.
»Noch einmal«, wies Conny an. »Und noch einmal.«
»Ich kann nicht mehr«, jammerte ich.
»Doch du kannst noch.« Connys Stimme klang bestimmt.
»Du machst das ganz toll«, sagte Nils und strich mir über die Wange.
»Sprich nicht mit mir, als wäre ich ein kleines Kind«, fauchte ich ihn an.
»Gleich noch einmal schieben«, sagte Conny.
Schieben, was war das nur für ein bescheuertes Wort. Ich würde nicht schieben, ich würde pressen. Einmal, zweimal, dreimal. »Es geht wirklich nicht mehr.« Mein Kopf sank kraftlos zurück.
»Ich kann schon die Haare sehen.« Conny legte meine Hand zwischen meine Beine und tatsächlich … Da war etwas Glattes, Feuchtes. Ich presste noch einmal. Dieses Mal mit voller Kraft, die sich in einem gigantischen Schrei entlud. Ich spürte, wie etwas aus mir herausglitt. Etwas, das einen wütenden Laut von sich gab.
Im nächsten Moment legte Conny mir ein warmes Bündel in den Arm. »Herzlichen Glückwunsch, Helga. Du hast eine kleine Tochter.« Sie strich mir die nassen Haare aus der Stirn.
Völlig entkräftet starrte ich das Wesen auf meinem Bauch an. Es schien genauso erschöpft wie ich und schrie wie am Spieß. Die ganze Situation war surreal. Konnte das wirklich mein Kind sein? Vorsichtig berührte ich seine winzige Hand. Sofort schloss sie sich um meinen Zeigefinger.
»Mathilda«, sagte ich zärtlich. Mir traten die Tränen in die Augen.
Nachdem Conny das Baby mit trockenen Tüchern abgewischt und es untersucht hatte, blieb sie noch einige Zeit bei uns. Da kein neuer Notfall auf sie wartete, leisteten uns auch die beiden Sanitäter einige Minuten Gesellschaft. Nils hatte eine Schale mit Plätzchen auf den Tisch gestellt und Weihnachtsmusik angemacht. Conny und er stießen mit Sekt an, die Sanitäter und ich mit Tee. Die beiden konnten es immer noch nicht so fassen, dass sie gerade am Heiligen Abend bei einer Hausgeburt assistiert hatten.
»Wie ein kleines Jesuskind«, sagte Frank, der Schrank, und strich mit seinen riesigen Pranken über Mathildas Köpfchen.
Das Telefon klingelte. Nils drückte auf die Lautsprechertaste.
»Ja.«
»Frohe Weihnachten«, zwitscherte meine Mutter. »Ich hoffe, dein Durchfall ist weg.«
Ich sah Nils mit erhobenen Augenbrauen an. Nils zuckte mit den Schultern. »Etwas Besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen«, wisperte er. Dann sagte er laut: »Er ist weg. Genauso wie Helgas riesiger Bauch.«
»Willst du mich veräppeln?«, fragte Milla.
»Nein. Es stimmt.« Nils lachte.
»Heißt das …?«, stotterte Milla.
»Ja. Ihr seid Großeltern von einer Mathilda.«
»Großeltern«, wiederholte sie. Hinter ihr brach orkanartiges Geschrei los und ein Gerangel um den Hörer begann.
Fee gewann. »Das Baby … Euer Baby ist da … Mathilda … Paul, du hast eine Cousine.« Sie fing an zu weinen.
Zwei Stunden später saßen Nils und ich mit der Kleinen allein auf der Couch und Nils hielt mir einen Umschlag vor die Nase. »Jetzt kann ich dir endlich dein Geschenk geben.«
Ich schaute ihn fragend an.
»Na, den Brief, den wir im Geburtsvorbereitungskurs schreiben sollten.« Plötzlich wirkte er nervös.
»Stimmt. Der Brief. Daran habe ich überhaupt nicht mehr gedacht.«
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