Liebe im Gepäck (German Edition)
Fleisch und Wurst ausgelegt waren. Viele Käufer drängelten sich davor. Es roch etwas streng. Hinter derTheke hing ein aus Kunststoffperlen gefertigter schwarzgelb gestreifter Vorhang. Franziska und Harry sahen gerade noch, wie der Chinese eilig dahinter verschwand.
»Meint er wirklich, wir sollen nach dahinten? Hinter die Wursttheke?«
Sie blieben etwas verunsichert stehen. Eine Hand erschien zwischen den Kunststoffperlen. Der Chinese gab ihnen durch ein energisches Winken zu verstehen, dass sie ihm weiter unauffällig folgen sollten.
Das taten sie dann auch. Und standen in einem von dicken Mauern umgebenen Hinterhof, voll gestellt mit Kartons und Kisten. Hinter einem der Kartons zog der Mann vier dicke Plastiktüten mit CDs und DVDs hervor. Die silbernen Scheiben waren in täuschend echt aussehenden Covers verpackt und in Klarsichtfolie eingeschweißt. Ohne Hüllen konnten sie Platz sparender versteckt werden.
Der Chinese reichte jedem von ihnen einen Stapel. Chinesische Musik war kaum unter den CDs zu finden, aber alle angesagten internationalen Stars. Und siehe da, auch eine CD vom Wiener Neujahrskonzert. Und da, eine CD von Modern Talking. Harry konnte es nicht fassen. Und dann, zwischen Britney Spears und George Michael auch »Herzkatheter« von Seeberstein. Hier, mitten in China, hinter einer Wursttheke, gab es seine CD zu kaufen! Für umgerechnet nicht einmal einen halben Euro. Auch das Cover war professionell nachgemacht, wenn man von einigen chinesischen Buchstaben am Rand absah.
Franziska erwies sich als harte Verhandlerin. Sie drückte den geforderten Preis noch einmal ein schönesStück nach unten. Harry hatte große Freude an der chinesischen Raubkopie seiner CD. Sie würde in seinem Arbeitszimmer einen Ehrenplatz bekommen.
Dann schlenderten sie Hand in Hand zum Hotel zurück, das schon von weitem sichtbar als brauner Turm vor ihnen aufragte. Harry hatte ursprünglich vorgehabt, noch beim Kempinski-Hotel vorbeizufahren, um neue Zeitungen zu kaufen. Die Blätter, die ihm Franziska vor drei Tagen gebracht hatte, hatte er bereits aus Deutschland gekannt. Kein Wunder, dauerte es doch einige Tage, bis westliche Zeitungen China erreichten. Gestern noch war er neugierig gewesen, was sich in Deutschland so tat. Ging »Schlamms Schlacht« weiter, obwohl er gar nicht da war? Wie hatte Anuschka das mit der Fernsehshow in der Wüste geregelt?
Doch nun war ihm all das mit einem Schlag völlig egal. Noch nie hatte er so deutlich wie in diesem Augenblick gespürt, dass »Schlamms Schlacht« Vergangenheit war. Was immer auch Giselle fordern würde, er würde es ihr geben. Aus, Ende, Schlussstrich. Außerdem hatte er ihr ja auch eine entscheidende Rolle bei der Vermarktung des Koffers zugedacht. Er konnte nur hoffen, dass es Lukas Bares tatsächlich schaffte, dieses Projekt doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Sobald das feststand, würde er Matthias’ Agentur einschalten. Wozu hatte er einen Bruder in der Werbebranche?
Er merkte, dass Franziska ihn erstaunt von der Seite ansah. »Warum bleiben wir stehen?«
Harry erwachte wie aus einem Traum. Nein, noch war es zu früh, sie in seine Gedanken einzuweihen. Er wollte nicht der nächste Mann sein, der sie enttäuschte. Zum Glück kam in diesem Augenblick ein alter Händler desWeges, sein Fahrrad schiebend, im Fahrradkorb eine bunte Auswahl an Waren. Harry ging zu ihm hin und erstand ein Feuerzeug mit dem Konterfei von Mao Tsetung, das jedes Mal, wenn man den Deckel aufklappte, die Hymne der Volksrepublik spielte. Und er konnte auch an einer überdimensional großen Fahrradklingel nicht vorbeigehen. Obwohl er gar kein Fahrrad besaß.
Franziska hatte eine unruhige Nacht. Sie hatte Harrys Angebot, wieder bei ihr zu schlafen, abgelehnt. Sie wollte lieber allein sein. In Ruhe nachdenken. Ungestört weinen. Der Tag war lustig gewesen und hatte sie von ihrem Kummer abgelenkt. Sie dachte voll Dankbarkeit an Mat, der alles darangesetzt hatte, sie aufzuheitern. Was hätte sie bloß ohne ihn gemacht! Nicht auszudenken, wenn jetzt der steife Rechtsanwalt Rüdiger Sommer an ihrer Seite gewesen wäre. Mat war so witzig, so verlässlich, so liebevoll. Liebevoll? Hatte sie eben liebevoll gedacht? Ja, er war liebevoll. Und anständig. Wie leicht hätte er die gestrige Nacht ausnutzen können, um ihr körperlich näher zu kommen. Ihr einreden können, Sex wäre ein geeignetes Mittel, um sie zu trösten. Hätte sie mit ihm geschlafen? Nein, gestern nicht. Aber heute, heute
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