Liebe im Spiel
Teufel, haben sie vor? Ich dachte, Edward brächte mir eine verzweifelte Niobe an der Schwelle des Todes, und jetzt gehen sie einkaufen. Und Gott weiß, wo Nancy steckt. Sie hat geschworen, um sechs hier zu sein.«
Rose nahm ihr Ginglas von Roger entgegen. Es fiel ihr schwer, ihre Tränen versiegen zu lassen, aber nur, weil ihr Herz lachte. Morgen früh, wenn sie zur Dorfkirche ging, um sich Linnets Darstellung als die Frau des Wirts im Weihnachtsspiel anzusehen, wären alle, die sie auf der Welt liebte, in ihrer Bankreihe bei ihr. Sie dachte, welch einfacher Wunsch das war – und doch gleichzeitig wie unermesslich.
Roger verstand. Während Lydia und Selena Ran neckten, weil er wegen Tiny Tim weinte, drückte er sanft ihre Schulter und murmelte: »Hätte ihm das alles nicht sehr gefallen?«
Rose konnte nur nicken. Die Erinnerung an den großen Mann war nicht mehr schmerzvoll. Die Erinnerungen, die ihr in den Sinn kamen, waren freudige und gütige Erinnerungen, wie vom großen Mann selbst ausgestreut. Er war gegenwärtig, auf eine Art, wie er es seit seinem Tod nicht gewesen war. Letztes Jahr an Weihnachten saß der Schock noch zu tief, waren sie zu blind vor Kummer, um ihn zu bemerken.
Sie musste immer wieder über die Veränderungen staunen. Letztes Jahr um diese Zeit waren Selena mürrisch und streitsüchtig und Lydia antriebslos und verzweifelt gewesen. Nun war Selena zu einem selbstbewussten Blaustrumpf erblüht, die kochte und organisierte und die falschen Zitate ihrer Mutter brüsk korrigierte. Und Lydia – ob es einem nun vollkommen gefiel oder nicht – strahlte vor Glück, weil sie Ran zurückerobert hatte. Er war nach der Nacht der großen Feuer eine Woche in Melismate geblieben, bis Polly seine Haustürschlüssel durch den Briefschlitz steckte. Dann hatte er seine Frau und sein Kind zur Semple Farm zurückgebracht.
Polly hatte, in ihrem rachsüchtigen Zorn, alles, was sie bezahlt hatte und nicht niet- und nagelfest war, fortgeschleppt. Die Küchenschränke waren leer. Es gab nur drei Stühle und ein Bett im ganzen Haus und kein Geschirr mehr. Glücklicherweise hatte Ran den Dachboden mit Dingen voll gestopft, die Polly fortgeworfen hatte. Lydia und er waren zu den frühen, seligen Tagen ihrer jugendlichen Ehe zurückgekehrt –, wo Luft und Liebe genügten, und scheiß auf alles andere, wie der große Mann es einst ausgedrückt hatte. Lydia strahlte.
Rose hatte einen vergnüglichen Vormittag in einem Wäschegeschäft damit verbracht, ihr Laken und Handtücher zu kaufen. Es belief sich auf mehr, als sie für ein Weihnachtsgeschenk veranschlagt hatte, aber es zählte auch gleichzeitig als Hochzeitsgeschenk. Ran hatte beim Standesamt einen Termin für die erste Aprilwoche vereinbart. Er war ebenso offensichtlich glücklich wie Lydia. Rose bezweifelte eher, dass seine amourösen Abenteuer vorüber waren –, aber zumindest besaß er inzwischen genug Verstand, seine Familie zusammenzuhalten. Sie vermutete, dass Lydia entweder schwanger war oder es jeden Moment sein würde. Sehr wahrscheinlich, denn Linnet hatte »BABYBRUDER« auf ihren Wunschzettel geschrieben.
Selena sagte zu Lydia: »Ich hoffe, du bleibst zum Abendessen. Ich habe Berge Fleischpasteten gemacht.«
»Nun, wenn sie biologisch sind«, sagte Ran.
»Natürlich sind sie das«, sagte Selena. »Wann hast du je von einer Kröte aus Massentierhaltung gehört?«
»Oh, ha ha.«
»Wir würden gerne bleiben«, sagte Lydia. Sie ging inzwischen wesentlich bestimmter mit ihrem einstigen und zukünftigen Ehemann um. »Linnet will Rufa unbedingt sehen, und dann kann sie ebenso gut so müde wie möglich werden – ich mag es nicht sehr, wenn ich morgens um fünf geweckt werde.«
Ran beugte sich herüber, um sie zu küssen, und legte die Hände schützend über ihren Bauch (schwanger!, dachte Rose). »Erschöpf dich nicht auch.«
»Das werde ich nicht. Selena und ich haben gestern schon alle Geschenke eingepackt.«
Im Wohnzimmer erklang ein Schrei. Die Tür wurde aufgerissen. Linnet schoss blind durch die Küche und schrie: »Rufa! Sie kommt! Rufa!«
Die Fenster von Melismate leuchteten in goldenem Glanz. Der Schnee schimmerte in der Dunkelheit unheimlich. Die Scheinwerfer des Wagens fingen Evite la Pesne am Tor ein.
Rufa sagte: »Jetzt muss ich ihnen gegenübertreten.« Sie war sehr müde, schwindelig von der erinnerten Seligkeit ihrer verspäteten Hochzeitsnacht und plötzlich nervös wegen der Begegnung mit ihrer Mutter und ihren Schwestern.
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