Liebe im Spiel
liebt?«
Nancy erkannte erst später, dass etwas an der wohl erwogenen Art der Fragestellung seltsam war. »Hundertprozentig. Sie kann mir nichts vormachen – sie tut das alles nur, weil sie annimmt, dass sie nie wieder glücklich sein wird. Sie glaubt, dass Melismate zu erhalten das Beste ist, was sie erhoffen kann.«
»Du machst dir Sorgen um sie, oder?«
»Was glaubst du, was ich hier tue?«, fragte Nancy. »Ich konnte sie doch nicht allein nach London kommen lassen, oder? Sie ist der Typ Frau, die an einem gebrochenen Herzen stirbt. Ich kann nicht zusehen, wie sie diesen Mann heiratet und sich nach und nach umbringt.« Sie platzte damit heraus wie mit einem Geständnis. Sie war zur Kronzeugin geworden und hatte Rufa den Behörden ausgeliefert – und es war eine große Erleichterung. »Jemand muss sie daran hindern, ihr Leben fortzuwerfen, und dir würde sie vielleicht zuhören. Wenn du sie dazu bringen kannst zuzugeben, dass dieses Hochzeitsspiel ein Haufen Mist ist, tust du uns allen einen Gefallen.«
Edward sagte: »Ich werde mein Bestes tun.«
Rufa hielt es für angemessen, dass Polly eine »Galeeren«-Küche besaß – gewiss behandelte sie ihre Angestellten wie Galeerensklaven. Jetzt, dachte sie, brauchen wir nur noch einen bärbeißigen Mann im Unterhemd, der eine Trommel schlägt, um uns alle im Rhythmus zu halten. Eine kolumbianische Putzfrau und eine stämmige spanische Kellnerin wurden bereits von Pollys schrillen Befehlen durch die Wohnung gescheucht. Eingedenk der Tatsache, dass Rufa die nächste Mrs. Mecklenberg wäre, war Polly ihr gegenüber gnädiger und verhüllte die Befehle als freundliche Bitten. Könnte sie die geräucherte Gans wohl dünner schneiden? Könnte sie die Raukeblätter vielleicht in Evian waschen, nicht in Leitungswasser? Waren die Blätterteigtaschen nicht vielleicht zu klein? Würde es ihr wohl etwas ausmachen, ihre Fingerabdrücke vom rostfreien Kühlschrank abzuwischen? Rufa war in ihrem Leben schon einigen hysterischen Gastgeberinnen begegnet, aber es erstaunte sie, dass ein menschliches Wesen einen solchen Aufstand um eine Dinnerparty machen konnte. Sie wollte Polly mögen, weil sie Berry mochte, aber das war eine Sisyphosaufgabe.
Sie schnitt und rührte und konterte Pollys Einmischungen angespannt und ungeschickt vor Beklemmung. Die Beklemmung drang mit jedem Tag ein wenig tiefer. Sie konnte Nancy nicht begreiflich machen, wie schlecht sich die Dinge in Melismate entwickelten. Die abendlichen Gespräche mit Rose waren Auflistungen von Verhängnissen. Sie hatten die letzten Mahnungen von Telefongesellschaft und Wasserwerk bekommen. Im einzigen wasserdichten, überzähligen Schlafzimmer war die Decke heruntergekommen. Adrian zu heiraten, so schnell wie möglich, war Rufas – jedermanns – einzige Hoffnung.
Ihre Familie schien zusammen mit dem Haus in Auflösung begriffen. Selena hatte die Schule verlassen. Sie weigerte sich, ihre Abschlussprüfungen zu machen, hing den ganzen Tag nur herum, schmollte und las immer wieder Sidneys Arkadien. Rufa war verzweifelt. Warum wollte sie nicht zur Uni gehen? Und warum konnte Rose nicht die Energie aufbringen sie, verdammt nochmal, zu zwingen, wieder aufs St. Hildegard’s zu gehen? Wäre Rufa in Melismate gewesen, hätte sie ihre undankbare Schwester zur Schule gefahren, wenn nötig gefesselt und geknebelt, und an den Haaren in die Klasse geschleift.
Aber Rose war mit Lydia beschäftigt, der Tochter, die ihr äußerlich am meisten ähnelte, ihr aber verstandesmäßig ein Rätsel war. Ran war noch immer allein auf Semple Farm, und die törichte Lydia schwebte in Reichen sinnloser Hoffnung. Sowohl Rufa als auch Rose befürchteten, dass Ran jenen großen, liebeskranken blauen Augen erliegen und wieder mit Lydia schlafen würde – und wo bliebe sie, wenn er unausweichlich danach von jemand anderem in Anspruch genommen würde?
Rose hatte gesagt: »Sie muss schwachsinnig sein. Sogar Linnet weiß, dass er nur Single ist, weil er bereits jede verfügbare Frau in Meilen Umkreis durchhat.«
Rufa sehnte sich danach, zu Hause zu sein, um ihrer törichten Schwester ein wenig Verstand einzubläuen. In der Vergangenheit hatte sie sich immer auf Edward verlassen können – sie wäre nie nach London gefahren, wenn sie nicht gewusst hätte, dass er in der Nähe war, ständig bereit, eine Katastrophe abzuwenden. Seit ihrer letzten Begegnung war Edward jedoch nicht mehr in der Nähe von Melismate gewesen. Niemand hatte ihn gesehen, und
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