Liebe im Zeichen des Nordlichts
sein? Es gelang ihr nicht, die Reihenfolge der Ereignisse nachzuvollziehen und sie zu begreifen. Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass es hier ja nur um Addie ging. Es war Addies Tragödie. Die anderen würden sie betrauern und vermissen, durften aber weiterleben. Addie war diejenige, die sterben musste. Es brach Della das Herz.
Zumindest betraf es nicht eines der Kinder, schoss es ihr zu ihrer Erleichterung durch den Kopf. Unvorstellbar, dass es eines der Kinder hätte sein können. Selbst Addie hätte das nicht gewollt. Doch im nächsten Moment wurde sie von Angst ergriffen. Wenn Addie so etwas zustoßen konnte, wer garantierte ihr, dass nicht eines der Kinder als Nächstes dran war?
Inzwischen überschlugen sich ihre Gedanken so, dass sie ihnen nicht mehr folgen konnte. Sie hatte keine Möglichkeit festzustellen, worauf alles hinauslief. Della stützte die Stirn auf die Knie und weinte.
Als Addie Hugh die Nachricht überbrachte, starrte er sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
»Wovon zum Teufel
redest
du, Kind?«
Addie schlug einen sanften Tonfall an.
»Sie sind sicher, Hugh. Sie haben mir gesagt, dass sie absolut sicher sind.«
Sein Gesicht war vor Entsetzen verzogen, und er drückte in einer ungläubigen Geste das Kinn zurück, bis es in seinem Rollkragen verschwand.
»Ist dir überhaupt
klar,
was du da sagst, Adeline?
Begreifst
du das?«
Addie schwieg.
»Siehst du«, fuhr er fort, als hätte er seinen Standpunkt soeben bewiesen. »Das ist alles nur ein Missverständnis. Wir werden es im Handumdrehen aufgeklärt haben.«
»Es ist kein Missverständnis, Hugh. Hör mir doch mal richtig zu.«
»Bei wem warst du denn?«
»Dermot Doherty im Vincent’s.«
Er schnaubte verächtlich durch die Nüstern.
»Ach, herrje, Doherty. Und der hat dir das gesagt?«
»Ja«, erwiderte sie. »Er hat mir die Diagnose mitgeteilt.«
»Was für eine Diagnose?«, brüllte er. »Mein Gott, Kind, ist dir klar, was das bedeutet? So etwas redet man nicht einfach so daher. Man wirft nicht leichtfertig mit solchen Wörtern um sich.«
»Hugh«, antwortete sie beschwichtigend. »Du schreist mich an.«
»Natürlich schreie ich dich an! Ich versuche nämlich, dir Vernunft beizubringen.«
Addie flehte ihn an, so leise, dass er sie kaum verstehen konnte.
»Bitte, Hugh, hör auf, mich anzuschreien. Ich habe nichts falsch gemacht.«
Als sie ging, durchwühlte er seine Schreibtischschubladen nach dem Adressbuch. Dabei murmelte er vor sich hin, ein innerer Monolog des Zorns.
»Meine eigene Tochter«, sagte er. »Wie stehe ich denn dann da? Meine eigene Tochter, verdammt.«
Inzwischen war er auf allen vieren, zerrte an der untersten Schublade seines Schreibtischs und bemerkte gar nicht, dass Addie aus dem Zimmer schlüpfte.
»Wie stehe ich denn dann da? Weil ich es nicht einmal bemerkt habe! Herrgott, das schlägt dem Fass den Boden aus.«
Brummelnd entdeckte er endlich das Adressbuch, hievte sich wieder auf den Stuhl und fing an, die Seiten durchzublättern. Dennehy, Devane, Doherty. Hugh tippte die Nummer ins Telefon ein, erreichte aber nur die Mailbox. Er legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Als Nächstes rief er die Zentrale des Krankenhauses an und ließ sich mit Dohertys Büro verbinden. Eine Verzögerung, als er wieder an eine Mailbox durchgestellt wurde. Diesmal war es die Stimme seiner Sekretärin, die anfing, die Öffnungszeiten der Klinik herunterzubeten. Als er auf die Uhr sah, stellte er fest, dass es schon nach halb sieben war. Entnervt knallte er den Hörer hin. Als er es bei Dellas Mobiltelefon versuchte, läutete es durch. Er unternahm einen zweiten Anlauf mit demselben Ergebnis.
Hektisch begann er, wieder in seinem Adressbuch herumzublättern. Er suchte den Namen eines Burschen, den er einmal auf einem Kongress in Philadelphia kennengelernt hatte. Wo saß der Mann noch einmal, in Bristol? Ein Ire, der, wie er sich erinnerte, mit einer neuen Therapie experimentierte. Aber Hugh konnte sich nicht mehr an seinen Namen erinnern.
Das Adressbuch entglitt seinen Fingern, und er sackte auf seinem Stuhl zusammen wie nach einem Schlag. Ein benommener Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit, sein Haar war zerzaust, und sein Blick verschleierte sich, als er sich bemühte zu verstehen, was da mit ihm geschah. Er hielt noch immer den Hörer in der linken Hand. Ein leises Piepen entstieg ihm. Er schlug ihn auf die Gabel.
Als Simon nach Hause kam, war Della wie vom Erdboden
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