Liebe im Zeichen des Nordlichts
das Telefon ein. »Ich muss mal kurz raus.«
Er erkundigte sich, ob es in Ordnung für sie sei, zu warten. Oder solle ihr eine der Schwestern Gesellschaft leisten?
»Nein«, erwiderte sie. »Nein, mir geht es blendend, danke.«
Noch während sie es aussprach, kamen ihr die Worte ziemlich albern vor.
Wer sie sah, hätte sie für eine Frau auf einem Gemälde gehalten, so reglos saß sie da. Ihre Füße standen auf dem Boden, die Hände lagen schlaff auf ihrem Schoß, das Gesicht hatte sie der Sonne zugewandt, die zum Fenster hereinströmte.
Durch das Fenster betrachtete sie den weiten, aufgewühlten Himmel. Sie sah die beruhigende Silhouette der Berge, die schwankenden Baumwipfel und das aufdringliche Grün des Golfplatzes vor sich. Die Frauen in ihren knielangen Hosen und mit den Mützenschirmen in der Stirn. Die Golfkarren hatten die Form von geduckten Geiern.
All diese Dinge ließ sie auf sich wirken, ohne etwas zu denken. Sie versuchte, die Worte zu verarbeiten, die sie gerade gehört hatte. Wörtergruppen, ganze Sätze. Wörter wie unheilbar, inoperabel, schlimmster Fall.
Sie hörte das Geräusch eines Golfballs, es klang wie eine kleine Explosion. Sie hörte den Fernseher im Nebenraum und die unnatürliche Satzmelodie des Nachrichtensprechers. Ein Knarzen des Fensterrahmens, der im Sonnenschein ächzte. Schritte im Korridor, die sich näherten und wieder entfernten. All diese Laute drangen an ihr Ohr, ohne dass sie darüber nachgedacht hätte.
Vom Anblick des Himmels wurde ihr schwindelig, er bewegte sich zu schnell. Die Bäume beunruhigten sie, ihr Rascheln verbreitete zu viel Unordnung. Nur die Berge konnten sie trösten, die massiven, dunkelblauen Berge mit ihren sanft ansteigenden Hängen. Solange sie die Berge vor sich hatte, war alles gut.
Sie hatten sie aufgefordert, jemanden anzurufen, doch sie wollte nicht. Sie wollte nur noch nach Hause.
Später ging sie den Korridor entlang zum Aufzug. Unterwegs fielen ihr ihre ungewöhnlich geschmeidigen Bewegungen auf. Ihr Körper und ihr Geist harmonierten wie ein gut gestimmtes Instrument, so als schwebe sie durch den Raum. Sie betätigte den Aufzugknopf, wartete ab, während die Digitalanzeige den Weg der Kabine drei Stockwerke hinunter nachvollzog, beobachtete, wie die Türen sich öffneten, stieg ein, stellte sich mit dem Rücken zum Spiegel und sah zu, wie die Türen sich wieder schlossen. Eine Etage später wartete sie erneut, bis die Türen wieder aufgingen, und trat hinaus in die Empfangshalle des Krankenhauses.
Sie dachte daran, ihren Parkschein aus der Handtasche zu nehmen und ihn in den Schlitz des Automaten am Eingang zu stecken. Sie kramte das passende Kleingeld heraus und warf es ein. Sie sah zu, wie die Anzeige des Automaten die Parkgebühr abzählte, bis sie auf null stand. Dann wartete sie darauf, dass der Automat den Parkschein wieder ausspuckte. Sie nahm ihn und schob ihn in ihre Manteltasche. Draußen blieb sie kurz im Eingangsbereich stehen und überlegte, wo sie ihr Auto geparkt hatte. Ja, da drüben unter dem Baum.
Zuerst öffnete sie die Beifahrertür und warf ihre Handtasche auf den Sitz. Dann ging sie ums Auto herum und stieg ein. Als sie den Motor anließ, sprang auch das Radio an, und sie beugte sich vor, um es abzuschalten. Sie folgte den Pfeilen auf dem Boden zur Ausfahrt und stoppte an der Schranke, um ihren Parkschein hineinzustecken. Die Schranke hob sich, und Addie verließ das Krankenhaus.
Da nur wenig Verkehr herrschte, war sie in knapp zehn Minuten zu Hause. Sie öffnete die Tür, warf die Schlüssel auf das Flurtischchen, zog den Mantel aus und hängte ihn auf. Dann ging sie ins Wohnzimmer.
Lola lag auf ihrer Matte hinter der Tür. Als Addie hereinkam, hob sie erwartungsvoll den Kopf und fing an, mit dem Schwanz zu wedeln, dass er über den Boden wischte.
Addie kniete sich hin. Sie ließ sich auf die Seite fallen und kuschelte sich an den Hund, schlang die Arme um seinen heißen kleinen Körper und schmiegte das Gesicht an seinen Nacken. Sie atmete Lolas Geruch nach Komposthaufen ein.
Ihre Gefühle konnte sie nicht in Worte fassen.
Die Worte kamen nur etappenweise. Sie hatte den Eindruck, dass ihr Verstand sie nur Stück für Stück bearbeiten konnte wie eine Gleichung, die man auch in einzelne Rechenschritte aufteilen muss, um sie lösen zu können.
Sie ließ das Gehörte Revue passieren und brauchte quälend lange, um seine Bedeutung zu entschlüsseln. Sie glauben, dass ich nicht mehr gesund
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