Liebe im Zeichen des Nordlichts
wichtig.
Sie war sicher, dass sie deshalb ständig Schmerzen hatte.
Es lag nur daran, dass sie inzwischen längst ein Baby hätte bekommen sollen. Wenn man der Natur freien Lauf gelassen hätte, sogar sechs. Die Rückenschmerzen, der aufgequollene Bauch, man konnte die Ursache regelrecht spüren. Es fühlte sich an, als sei da etwas verstopft. Bei ihren Recherchen im Internet war sie auf Wörter gestoßen, von deren Existenz sie bislang nichts geahnt hatte. Scheußliche Wörter wie Fibrose und Endometriose, Wörter wie Zyste. Natürlich hatte sie schon von Zysten gehört, sich aber nie etwas darunter vorstellen können. Als sie das Wort googelte, stieß sie auf eine genaue Definition. Ein ekliges, mit Flüssigkeit gefülltes Ding. Sie durfte gar nicht darüber nachdenken, dass so etwas womöglich in ihr herumschwamm.
Meine Innereien sind total durcheinander, so hatte sie es Della gegenüber ausgedrückt, das waren ihre Worte. Und Della war ein wenig besorgt gewesen. Solltest du da nicht besser zum Arzt gehen?, hatte sie vorgeschlagen. Oh, nein, hatte Addie erwidert. Ich kenne den Grund. Es liegt daran, dass ich keine Kinder habe. Das verstößt gegen die Natur.
Nach der Selbstdiagnose kam die Selbstmedikation. Schwimmen half. Und Gehen. Sie versuchte es mit Akupunktur. Sie ließ sich hin und wieder eine Shiatsu-Massage verabreichen. Sie nahm jede Menge Vitamintabletten. Sie machte eine Kur mit Nachtkerzenöl, Borretschöl, Kalzium und Multivitaminpräparaten. Sie trank Preiselbeersaft. Und sie nahm Schmerztabletten der Marke Soldapeine, und zwar eine ganze Menge. Wenn nötig auch Nurofen. Da konnte man die Dosis verdoppeln, ohne seine Organe zu schädigen, hieß es wenigstens im Internet.
Im Krankenhaus hatte man ihr gesagt, sie solle wiederkommen und eine Biopsie durchführen lassen. Irgendetwas mit minimal-invasiver Chirurgie. Man hatte sie angewiesen, nach sechs Monaten einen Termin zu vereinbaren, aber sie hatte es nicht getan. In ihrem Herzen kannte sie den Grund. Und lange Zeit störte sie es wirklich nicht. Sie glaubte an das Schicksal und daran, dass der Kelch, der einem bestimmt war, auch nicht an einem vorübergehen würde. Wenn sie sich Dellas Leben ansah, war sie ganz und gar nicht sicher, ob sie so etwas wollte. Und so sagte sie sich, dass es keine Rolle spielte.
Seltsam, wie es einem gelang, Dinge zu verdrängen. Wie man sich eine Sache so oder so zurechtbiegen konnte. Wie man es schaffte, sich selbst so überzeugend zu überzeugen. Bis der Moment da war, an dem einem klarwurde, dass man so überzeugt gar nicht gewesen war.
Addie hat die Kinder ihrer Schwester gern; sie liebt sie, als wären es ihre eigenen. Sie weiß, wann sie Geburtstag haben, und hat Fotos von ihnen in ihrem Mobiltelefon gespeichert.
Für sie ist sie eher wie eine große Schwester als wie eine Tante. Sie geht mit ihnen Klamotten kaufen und lässt sie selbst aussuchen. Wenn sie mit ihnen ein Schwimmbad besucht, gibt es anschließend immer einen heißen Kakao. Sie lädt sie zum Übernachten ein, und dann sehen sie zusammen auf dem Sofa fern und füttern den Hund mit Popcorn.
Sie mag dieselben Serien wie ihre Nichten:
The Simpsons
und sogar
Friends.
»Ich bin Rachel«, sagt Stella.
»Nein, ich bin Rachel«, protestiert Tess.
Warum wollen immer alle Rachel sein?, fragt sich Addie. Ich wäre nicht gerne Rachel. Wenn ich jemand aus dieser Serie sein wollte, dann Phoebe. Das liegt vermutlich am Älterwerden, sagt sie sich. Man will nicht mehr Rachel sein, sondern Phoebe. Aber Addie weiß, dass Della recht hat. Wenn sie jemand ist, dann Monica.
Die Kinder sprechen mit einem Akzent, den sie im Fernsehen aufschnappen, und klingen fast wie kleine Amerikanerinnen. Sie nennen Della sogar Mom.
Della gibt Addie die Schuld daran. »Du lässt sie diesen Mist anschauen«, schimpft sie. »Und dann lieferst du sie bei mir ab, und ich bin diejenige, die sich das anhören muss.«
Die Sache mit der Kinderlosigkeit ändert sich. Es ist eine Entwicklung, das hat Addie inzwischen festgestellt. Vor ein paar Jahren drehte sich alles um das Baby, um das Thema Schwangerschaft, darum, schwangere Frauen zu sehen und sich an ihre Stelle zu wünschen. Um das winzige Baby, seinen Geruch, darum, es im Arm zu halten, ihm beim Einschlafen zuzuschauen, es in sein Körbchen zu legen, ihm einen Gutenachtkuss zu geben und dann in der Dunkelheit zu stehen und seinem Atem zu lauschen.
Inzwischen denkt Addie nicht mehr an diese Dinge. Vielleicht deshalb,
Weitere Kostenlose Bücher