Liebe im Zeichen des Nordlichts
weil sie wieder solo ist und die Hoffnung aufgegeben hat, dass sich je etwas daran ändern könnte. Vielleicht auch, weil Dellas Töchter immer größer werden. Mittlerweile sind sie keine Babys mehr, sondern einfach nur Menschen. Addie genießt ihre Gesellschaft und verbringt gern ihre Zeit mit ihnen. Ihr eigenes Leben erscheint ihr im Vergleich sehr ruhig.
»Man muss an die Zukunft denken«, sagt Della. »Kinder zu haben ist kein Zuckerschlecken«, fügt sie hinzu. »Es ist die Hölle. Doch es ist auch eine Investition in die Zukunft. Man muss daran glauben, dass es sich irgendwann später auszahlen wird.«
Wie oft haben sie dieses Gespräch schon geführt? Della hat sich alles genau zurechtgelegt und beherrscht es aus dem Effeff.
»Ich bin gern von Menschen umgeben«, fährt sie fort. »Wenn man genug Kinder hat, bringen sie einem zwangsläufig Leute ins Haus. Selbst wenn es nur ihr grässlicher Freund, ihr grässlicher Ehemann oder ihre grässliche lesbische Freundin ist. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Ansonsten wären Simon und ich ganz allein. Und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass das klappen würde.«
Und es geht noch weiter.
»Wir hatten nie das Haus voller Leute. In unserer Kindheit war es bei uns viel zu still. Ich brauche Gesellschaft.«
Sie hat sehr klare Vorstellungen von der Zukunft und redet oft darüber.
»Wenn sie Jugendliche sind«, sagt sie, »gehe ich wieder zur Arbeit. Ich suche mir einen Job, und dann wird von mir nur noch eine Staubwolke zurückbleiben. Mit den hormonellen Verwerfungen soll Simon sich befassen. Der ist schließlich Arzt und müsste über die nötigen Qualifikationen verfügen.«
Addie findet es seltsam, wie ihre Schwester alles plant und organisiert.
»Wir kaufen uns ein Haus in Frankreich«, verkündet sie. »Wenn die Mädchen älter sind, kaufen wir uns ein Haus in Frankreich. Ich verbringe den ganzen Sommer dort, Simon pendelt, die Mädchen können Französisch lernen, und ich sitze im Garten und lese.«
Sie hat da ganz klare Vorstellungen.
»Wo siehst du dich in zehn Jahren?«, fragt sie Addie. »Was wirst du dann machen?«
»Herrje, Dell, keine Ahnung, was ich in zehn Jahren mache.« Sie tut es einfach ab.
Aber es bereitet ihr trotzdem Sorgen. Wenn sie allein ist, grübelt sie darüber nach. Sie versucht, sich auszumalen, wie sie mit fünfzig sein wird. Doch es geht nicht. Sie kriegt es einfach nicht hin.
Und das ängstigt sie.
Bruno kam später noch einmal darauf zu sprechen. Sie lagen im Bett. Addie kuschelte das Gesicht in die warme Kuhle zwischen seinen Schultern und seinem Hals und war kurz davor einzuschlafen, als er die Frage stellte.
»Wann ist das mit dem Baby passiert?«
»Ende letzten Jahres.«
»Also wäre es inzwischen auf der Welt. Wenn das Baby überlebt hätte, wäre es jetzt hier.«
Das stellte er einfach so in den Raum.
Es gelang ihr nicht, zu antworten. Sie brachte die Worte nicht über die Lippen. Und ehe sie wusste, wie ihr geschah, weinte sie. Lautlose Tränen quollen ihr aus den Augen. Sie weinte an seiner Schulter. Die Tränen bildeten klebrige Pfützen auf ihrer Haut.
Er schwieg, zog sie nur fester an sich, senkte den Kopf und küsste sie auf den Scheitel, während sie weiter weinte. Er ließ sie immer weiter weinen, und als sie sich endlich ausgeweint hatte, war sie absolut erschöpft. Ihr Körper fühlte sich an wie in Blei gegossen. Doch zum ersten Mal seit über einem Jahr war ihr Kopf frei.
Nie hätte sie gedacht, dass sie jemandem so viel bedeuten könnte! Dass jemand ihre geheimsten Gedanken erraten und ihr in ihrem tiefsten Innersten Gesellschaft leisten könnte. Es hatte eine starke Wirkung auf die.
Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Mum hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein.
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Kapitel 15
S ie sprachen nie wirklich über Addies Mum. Oh, natürlich wurde sie im Laufe der Jahre oft erwähnt, und immer wieder fiel ihr Name. Deine Mutter hätte das viel besser gemacht als ich, pflegte er zu sagen, während er sich damit abmühte, einen Knopf an die Bluse ihrer Schuluniform zu nähen. Deine Mutter konnte gut mit Nadel und Faden umgehen.
Oder wenn eine von ihnen über der Mathematikhausaufgabe brütete. Das müsst ihr von eurer Mutter haben, verkündete er. Ich hatte in der Schule nie Schwierigkeiten mit Mathe.
Allerdings weckte er nie Erinnerungen an sie oder erzählte ihnen von ihr. Und deshalb wissen Addie und Della nicht, was für ein Mensch sie war.
Wenn sie sich alte Fotos
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